Die Essay-Sammlung der israelischen Soziologin Eva Illouz gehört zu den interessantesten Veröffentlichungen zur Identität des Staates Israel. Die Autorin ist mit der Politik der rechtsextremen Netanyahu-Regierung absolut nicht einverstanden und spricht sich für ein säkulares, liberales und weltoffenes Israel und gegen die vorherrschende nationalistische und rassistische Engstirnigkeit aus. Dass die zunehmende Fokussierung der israelischen Politik auf Ethnie und Religion den liberalen Charakter des Staates zu unterwandern drohe, fragt sich der Leser, ob dies nicht schon längst geschehen sei, wenn man ohne ideologische Scheuklappen die Entwicklung Israels verfolgt.
Illouz setzt sich für eine Staatsbürgerschaft ein, die nicht ethnisch begründet ist, weil dadurch alle Nicht-Juden zu Bürgern zweiter Klasse degradiert würden. "Ein Rassismus, der aus der Bevölkerung komme, ist etwas anderes als ein Rassismus, der sich in den Gesetzen des Staates niederschlägt."
Die Autorin war religiös und in der orthodoxen Glaubenswelt zuhause. Sie hat lange in Frankreich und den USA gelebt. Ihre "säkulare Epiphanie" erlebte sie, als ein religiöser Extremist Ministerpräsident Yitzhak Rabin 1995 ermordete. Für die Autorin sind die Privilegien der Orthodoxen und die absolute Macht des Oberrabinates völlig inakzeptabel; beide gehörten abgeschafft.
Eva Illouz will einen linken Zionismus wiederbeleben, deshalb sei eine Infragestellung der Legitimität des Zionismus "unmoralisch". Nach Meinung der Autorin war der Zionismus von Hause aus gut, er wurde aber nur durch Nationalisten und Rechtsextremisten gekapert und seiner edlen Motive beraubt. Diesen Behauptungen sollte vehement widersprochen werden, weil eine nationalistische Ideologie, die zwar zur Gründung eines jüdischen Staates und damit zur Gleichberechtigung des "jüdischen Volkes" in der Staatengemeinschaft beigetragen hat, nicht so pervertiert hätte werden dürfen. Die rechtsnationalistische Netanyahu-Regierung tut alles, um Israel völlig zu isolieren und zu delegitimieren.
Neben den zahlreichen Essays verdient einer besonders gewürdigt zu werden: "Dreyfus in Israel: Ein Gedankenexperiment". Darin beschreibt Illouz die "Dreyfus-Affäre". Dass der jüdische Hauptmann Dreyfus letztendlich rehabilitiert worden ist, sei zwei ausgewiesenen Antisemiten zu verdanken gewesen. "Die Dreyfus-Affäre war überhaupt nur möglich, weil in Frankreich ein universelles Staatsbürgerschaftsmodell existiert", wohingegen in Israel die "arabische Staatsbürgerschaft" nur einer "ethnischen Enklave im Osmanischen Reich" gleiche.
Illouz wendet die "Dreyfus-Affäre" als ein "Gedankenexperiment" auf die israelische Gesellschaft an und fragt, ob sich zwei hohe israelische Militärs so vorgehaltlos für einen verurteilten "arabisch-israelischen Offizier" einsetzen würden wie weiland zwei ausgesprochene französische Antisemiten der französischen Armee für Dreyfus. Dreyfus wurde nicht von der französischen Linken oder den Intellektuelle gerettet, sondern "von dem überwältigenden Gefühl, Ehre bedeutet, 'das Richtige zu tun'". Resümierend stellt die Autorin in Bezug auf Herzl fest: "Der Zionismus wird sein Ziel erreicht haben, wenn Israel zu einer Dreyfus-Affäre fähig ist."
Solange es Menschen und Intellektuelle wie Eva Illouz in Israel gibt, besteht Hoffnung, dass das Land von seinem rechtsnationalistischen und rassistischen Irrweg zurück zur Rechtsstaatlichkeit und zur Gleichbehandlung aller seiner Bürger fähig ist. Nicht Engstirnigkeit und Spießigkeit, sondern Universalismus gehört als zentraler Wert zur jüdischen Ethik. Dafür legen alle Essays ein beredtes Zeugnis ab. Eine exzellente Essaysammlung. Chapeau, Ms. Illouz!