Donnerstag, 30. Dezember 2010

Wider die Einstaatenlösung als Dogma

Als ich am 24. Dezember 2010 die emotionsgeladene Stellungnahme von Attia und Verena Rajab gegen meinen Beitrag „Ein- oder Zweistaatenlösung für Palästina?" auf der Website „Palästina-Portal“ gelesen hatte, habe ich eine kurze Erwiderung verfasst, weil ich es unter meinem Niveau empfinde, mich mit einem solch indiskutablen Text auseinanderzusetzen. Dieser Text erschien dann tatsächlich noch einmal in der Online-Zeitung „Neue Rheinische Zeitung“ vom 29. Dezember 2010. Die Rajabs arbeiten nicht nur mit falschen Tatsachenbehauptungen, sondern auch mit hanebüchenen politischen Unterstellungen, durch die man versucht, mich zu diskreditieren oder einen Keil zwischen die seriösen Kritiker dieser als Dogma daherkommenden Ein-Staaten-Utopie zu treiben.

Ich habe die Erklärung auch kritisiert, weil sie eine politisch-schädliche und unnütze Verbindung zwischen einer sinnvollen Kampagne (BDS) und einer utopischen politischen Forderung hergestellt hat, und zwar der „Einstaatenlösung“ als „Königsweg“ zur Lösung des Nahostkonflikts. Diese Utopie wird mittlerweile als das Non plus Ultra mit Zähnen und Klauen verteidigt, obwohl den in Stuttgart versammelten Aktivisten/Innen hätte klar sein müssen, das kein einziger Mitgliedstaat der UNO diese Utopie unterstützt, weil alle UN-Resolutionen auf die Schaffung eines souveränen Staates Palästina neben Israel abzielen.

Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, dass es zwei „Stuttgarter Erklärungen“ gibt, die erste datiert vom 6. Dezember, die andere vom 10. Dezember; sie liegt jetzt zur Unterzeichnung im Cyberspace aus. In der Erklärung vom 6. Dezember, die nur einige Tage online stand, finden sich sehr interessante, fragwürdige Formulierungen, die mich stutzig gemacht haben, und die ein schales Licht auf die vermutlich wirklichen Motive der Veranstalter werfen.

So heißt es in der Erklärung vom 6. Dezember: „Jeder muss ohne Zeitverzögerung alles unternehmen, was in seiner Macht steht. Wir dürfen nicht darauf warten, dass Israel von sich aus kollabiert.“

Politisch weißgewaschen erscheint diese Passage in der Erklärung vom 10. Dezember wie folgt: „Es ist höchste Zeit(,) Druck auf Israel auszuüben. Das zionistische System Israels wird nicht von sich aus die Rechte der PalästinenserInnen anerkennen.“

Und weiter steht in der Erklärung vom 6. Dezember: Und was soll getan werden, um Unrechtsstrukturen und die Isolierung der Unterdrückten zu durchbrechen: „Wir werden mit einer weiteren Freedom Flotilla und einer Flut von Aktionen zu Land und zu Wasser die Mauern und Blockaden um Gaza und die Westbank einreißen und überrennen.“

Realistischer dazu in der Erklärung vom 10. Dezember: „Die KonferenzteilnehmerInnen setzen sich dafür ein, dass weitere Freedom Flotillas und massive Aktionen zu Land und zu Wasser Blockade und Besatzung Gazas und der Westbank beenden.“

Folgender Schlussabsatz in der Erklärung vom 6. Dezember fehlt in der vom 10. Dezember: „Insbesondere wir Deutschen haben die Pflicht, Stellung zu beziehen. Deutschland hat eine Mitschuld an dem, was den Palästinensern/Innen angetan wurde als Folge deutscher Geschichte. Gerade die deutsche Vergangenheit fordert von uns ein besonders hohes Verantwortungsbewusstsein im Umgang mit den Menschenrechten und wenn es um Vertreibungen und ethnische Säuberung geht.“

Diese typisch deutsche Behauptung entbehrt jeglicher historischer Grundlage, weil es bei der Debatte in der UNO im Zusammenhang mit der Teilungsresolution nicht um die deutschen Verbrechen am europäischen Judentum gegangen ist. Selbst von zionistischer Seite wurden nicht die Verbrechen des Holocausts als „unterstützendes“ Argument für die Gründung eines jüdischen Staates in die Debatte eingeführt. Das Ziel der Zionisten war, einen jüdischen Staat auf der Grundlage des „public law“ zu gründen, d. h., Israel wäre auch ohne die Katastrophe des Holocaust gegründet worden. Die einzige Macht, die die Gründung eines Staates für das jüdische Volk aufgrund des Holocaust und des Versagens des Westens, einen solchen nicht verhindert zu haben, gefordert hat, war die Sowjetunion in der Person ihres UN-Vertreters Andrej Gromyko, des späteren sowjetischen Außenministers.

Die weiteren impertinenten Unterstellungen mir und den anderen Kritiker/Innen gegenüber sind keines Kommentares, geschweige denn eines rationalen Gegenargumentes wert. Ich habe an keiner Stelle meines Beitrages das Begriffspaar „Spaltung und Sektierertum“ verwendet. Dies hatte ich aber bereits am 24. Dezember richtiggestellt. Es ist auch frappierend, wie leichtfertig die Autoren/in mit dem Begriff „Apartheid-Staat Israel“ um sich werfen. Auch da bedarf es der Differenzierung zwischen der ehemaligen Apartheid in Südafrika und einer „Israeli Apartheid“, wie das der britische Journalist Ben White in seinem gleichnamigen Buch getan hat.

Die beiden Autoren/In versuchen einen Satz der Schirmfrau dieser Konferenz, Felicia Langer, gegen meine Kritik in Stellung zu bringen, weil ich ihren Satz angeblich verdreht und den letzten Halbsatz, „die Hoffnung bleibt“, nicht zitiert habe. Jetzt zu behaupten, sie habe sich nicht völlig gegen die Einstaatenlösung ausgesprochen, scheint nur ihrer Höflichkeit geschuldet gewesen zu sein. Wie peinlich wäre es gewesen, wenn sie öffentlich die Veranstalter und die anderen Redner desavouiert hätte? Wer dies von Felicia Langer erwartet hätte, kennt sie nicht wirklich.

In meinem bereits zitierten Interview vom 24. Dezember hat sie eindeutig gegen die Stuttgarter-Erklärung Stellung genommen. In diesem Interview hat sie aber weiter gesagt: „Ich habe mich beleidigt gefühlt, weil man die Zweistaatenlösung als eine dogmatische bezeichnet hat.“ Liest man ihre ganze Rede, dann steht der Satz „Die Ein-Staat-Lösung, die hier vorgestellt wird, hat wunderschöne Eigenschaften, ich fürchte aber, dass sie unrealistisch ist; aber die Hoffnung bleibt“, völlig singulär dar und kann nicht als eine Unterstützung für diese Utopie in Anspruch genommen werden. Welchen Sinne ergibt dann der folgende Satz: „Ich habe doch noch in Erinnerung, dass eine Million französische Siedler Algerien verlassen haben.“ Wer Frau Langer versucht, für die Utopie einer Einstaatenlösung zu vereinnahmen, handelt nicht nur wider den Geist ihrer Rede, sondern auch zutiefst unredlich. Der Halbsatz, „die Hoffnung bleibt“, könne sowohl für die Ein- als auch Zweistaatenlösung herhalten. „In Tausenden von Vorträgen habe ich über eine Zweistaatenlösung gesprochen, weil eine andere Lösung jenseits meines Vorstellungsvermögens gelegen hat“, erklärte sie weiter in dem Interview. Die Einstaatenlösung sei nicht realistisch, und als “Israelin und Deutsche kann ich nicht für die Auslöschung Israels sein, gleichwohl ich das ethnozentrische System ablehne. Israel muss sich demokratisieren und entzionisieren und ein Staat aller seiner Bewohner werden. Daneben sollte es einen demokratischen Staat Palästina geben, der frei von israelischer Besatzung ist. Ob sich beide Staaten in Zukunft einmal vereinigen oder in einer noch größeren Konföderation aufgehen, kann nur die Zukunft zeigen.“

Die Autoren/In erwecken den Eindruck, als sei die Einstaatenlösung eine Idee, die von einer Massenbewegung getragen sei; dies ist jedoch nicht so. Mich erinnert dies an die 1980er Jahre als im Nachrüstungsstreit Teile der SPD meinten, ihre Parteitagsbeschlüsse hätten irgendetwas mit der Wirklichkeit zu tun oder könnten diese verändern. Dieser Hybris schrieb Hans Apel Folgendes ins Stammbuch: "Schließlich ist die SPD ja nicht die dritte Weltmacht."

Und noch eine abschließende Bemerkung: Meine Behauptung, dass sich in Israel vielleicht ein Dutzend (=12 Personen) für eine Einstaatenlösung aussprechen, ist bisher noch untertroffen worden. Tatsache ist: von 834 Unterzeichner/Innen (Stand 30.12., 21.22 Uhr) sind gerade einmal sechs, die als Heimatland „Israel“ angegeben haben. Uri Davis hat Palästina, Jeff Halper hat Palästina/Israel und Ilan Pappé hat United Kingdom als Heimatstaat eingetragen. Zum Dutzend fehlen also noch sechs „waschechte“ Israelis, die sich zu ihrem Heimatland Israel bekennen.

Die internationale Solidaritätsbewegung sollte sich nicht grundlos spalten und schwächen, sondern ihre Aktionen so abstimmen und einsetzen, dass sie den größten Nutzen für die Befreiung des palästinensischen Volkes von israelischer Besatzungsherrschaft bewirken. Darauf richtet sich auch primär die BDS-Kampagne. Die zweite Stoßrichtung muss auf die Wandlung Israels von einer „Ethnokratie“ hin zu einer Demokratie im westlichen Verständnis abzielen. Dass dabei der zionistischen Ideologie das Hauptaugenmerk zu gelten hat, bedarf für Kenner keiner Diskussion. Das größte Hindernis für die Lösung des Nahostkonflikts stellt die Ideologie des Zionismus dar. Ohne eine „Entzionisierung“ Israels, wie es Michel Warschawski genannt hat, wird das Land kein Staat aller seiner Bewohner werden können. Erst wenn dieses Ziel erreicht sein wird, kann auch der Nahostkonflikt gelöst werden. Für kluge und weitsichtige Israelis ist es klar, dass Israel keine Zukunft als „jüdischer und demokratischer“ Staat haben wird. Die zionistische israelische politische Elite muss sich zwischen „jüdisch“ oder „demokratisch“ entscheiden. Stimmen, die fordern, dass Fatah und Hamas die besetzten Gebiete wieder der alleinigen Verantwortung der israelischen Besatzer übergeben sollten, um dann zu hoffen, sie könnten aufgrund einer palästinensischen Mehrheit die Forderung „One man, one vote“ durchsetzen, geben sich politischen Illusionen über die Resistenz der zionistischen Ideologie hin. Um politische Veränderungen in Israel zu bewirken, bedarf es einer Mehrheit der israelischen Staatsbürger und massiven Drucks der internationalen Staatengemeinschaft.

Bei der bereits auf Hochtouren laufenden Verleumdungskampagne der „Israellobby“ in Verbindung mit der israelischen Regierung gegen so genannte Israelkritiker ist die Konzentration aller pro-palästinensischen Kräfte angesagt und nicht der Streit über eine politische Utopie. Sollte sich die Solidaritätsbewegung darüber spalten, wäre dies politischer Selbstmord.

Dienstag, 28. Dezember 2010

Das "Gaza-Massaker"

Vor zwei Jahren begann der Überfall der israelischen Armee auf die wehrlose Bevölkerung des Gaza-Streifens. Dieser grausame Angriff dauert vom 27. Dezember 2008 bis 18. Januar 2009. Zwei Tage später wurde der neue US-Präsident Barack Hussein Obama in sein Amt als 44. Präsident der Vereinigten Staaten eingeführt. Zur Zeit des Massakers spielte er Golf auf Hawaii; Kritik seinerseits gab es nicht. Auch der noch amtierende US-Präsident George W. Bush schwieg, was niemanden verwunderte.

Das "Gaza-Massaker", wie es der bekannte US-amerikanische Politikwissenschaftler Norman G. Finkelstein genannt hat, wird irrtümlicherweise als „Gaza-Krieg“ bezeichnet, was eine Irreführung der Öffentlichkeit darstellt, weil es keine bewaffnete palästinensische Seite gab, die hätte einen Krieg führen können. Auch der Vorwand für diesen Überfall hat nichts mit den Fakten zu tun. Es gab einen Waffenstillstand zwischen der regierenden Hamas im Gaza-Streifen und Israel, an den sich die Hamas gehalten hat, bis Israel sechs Mitglieder dieser Organisation im November 2008 getötet hatte. In der Zeit des Waffenstillstandes (von Juli bis Oktober) ging der Beschuss Israels um 97 Prozent zurück. Erst mit dem Bruch des Waffenstillstands durch Israel, nahm Hamas den Beschuss israelischen Gebietes durch Kassam-Raketen wieder auf, die aber nur geringfügigen Schaden anrichteten und mit den US-High-Tech-Waffen der Israels überhaupt nicht zu vergleichen sind.

Bei dem Massaker im Gaza-Streifen kamen laut Presserklärung des „Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte“ (PCHR) vom 27. Dezember 2010 1 419 Menschen ums Leben, 83 Prozent der Getöteten waren Zivilisten, die unter dem Schutz des Humanitären Völkerrechts stehen. 5 300 Personen wurden verwundet, und die zivile Infrastruktur wurde großflächig zerstört. Zahlreiche Berichte von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International haben die Verbrechen des israelischen Militärs dokumentiert. Die im Auftrag des UN-Menschenrechtsrates eingesetzte Kommission unter dem renommierten südafrikanischen Richter Richard Goldstone legte einen Bericht, den so genannten „Goldstone Report“, vor, in dem Israel „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Kriegsverbrechen“ attestiert worden sind. Die gleichen Vorwürfe gingen auch an die Hamas-Regierung. Es gilt jedoch zu bedenken, dass sich neun Zehntel der Vorwürfe gegen Israel richteten, was in der Natur der Sache lag. Bis dato hatte keiner dieser Berichte zu irgendwelchen Konsequenzen seitens der internationalen Staatengemeinschaft geführt. Durch ihr Schweigen hat die internationale Staatengemeinschaft implizit das Massaker an der wehrlosen und eingesperrten Bevölkerung des Gaza-Streifens gutgeheißen. Durch dieses Schweigen zu internationalen Verbrechen, die auch die US-amerikanischen Besatzungstruppen in Iraq und Afghanistan zusammen mit ihren „willigen Helfershelfern“ begehen, werden dadurch indirekt sanktioniert.

Dieser Überfall, der unter dem Codenamen „Gegossenes Blei“ firmiert, zielte auf die Zerstörung der zivilen Infrastruktur, was durch die massive Zerstörung von Schulen, sanitären Einrichtungen, Moscheen, Universitäten, Polizeistationen, UN- und landwirtschaftliche Einrichtungen sowie private Wohnhäuser hinreichend dokumentiert worden ist. Israel setze sogar Phosphorgranaten ein, die nach Völkerrecht verboten sind und zu verheerenden Brandwunden führen.

Das israelische Außenministerium selbst hat in einer Dokumentation mit dem Titel „The Hamas terror war against Israel“ gezeigt, wie vertragstreu sich Hamas verhalten hat. Es präsentierte zwei Schaubilder, die das „Intelligence and Terrorism Information Center at the Israel Intelligence Heritage & Commemoration Center“ erstellt hat. Die Schaubilder belegen, dass Hamas erst wieder mit dem Beschuss israelischen Territoriums begonnen hatte, nachdem Israel die Hamas-Mitglieder liquidiert hatte.









Monthly distribution of rockets hit.










Monthly distribution of mortar shells.

Diese Schaubilder wurden in der Nacht zum 4. Januar 2009 von der Website des Außenministeriums entfernt, als die israelische Armee ihre Bodenoffensive startete. Sie wurden durch folgendes Schaubild ersetzt, das man als obskur bezeichnen könnte.










Dieses Dokument trug den gleichen Titel wie das ursprüngliche: „The Hamas terror war against Israel“. Alle Details wurden von Jim Holstun and Joanna Tinker minutiös dokumentiert.

Es spricht Bände, dass die Abbas- und Fayad-„Regierung“ des zweiten Jahrestages des Gaza-Massakers nicht gedacht hat. Es halten sich hartnäckig Gerüchte, dass Israel diesen Überfall mit Wissen, wenn nicht sogar mit insgeheimer Zustimmung dieser „Regierung“ durchgeführt hat. Erste WikiLeaks-Veröffentlichungen zeigen, das Abbas und der ägyptischen Regierung die Übernahme des Gaza-Streifens angeboten worden sei, was aber von Abbas dementiert worden ist. Dies wäre nicht verwunderlich, wenn man sich die Umstände des gescheiterten Putsches von Warlord Mahmoud Dahlan gegen die Hamas im Gaza-Streifen vor Augen führt, der aber ein anderes Ergebnis gezeitigt hat, als Dahlan und seine Auftraggeber sich erhofft hatten. Fälschlicherweise geistert die geplante Vernichtung der Hamas durch Dahlan und seiner Hintermänner als „Hamas-Putsch“ durch die internationale Presse. Tatsache ist jedoch, dass Hamas dem Putsch einer unheiligen Allianz, bestehend aus den USA, Israel und der so genannten palästinensischen Regierung, zuvorgekommen ist, und Dahlan, der diesen Angriff von Ägypten aus per Handy dirigiert hatte, zu seinem Glück nicht vor Ort gewesen ist. Ein Brief Dahlans vom 13. Juli 2003 an den damaligen israelischen Verteidigungsminister Shaul Mofaz, der in Dahlans Hauptquartier gefunden worden ist, zeigt, an wessen Leine Dahlan gelaufen ist.

Auch in der Bundesrepublik Deutschland hat keiner der palästinensischen Funktionäre der Zivilgesellschaft des Massakers von Gaza vor zwei Jahren gedacht. Passt es doch den gut gewandeten Repräsentanten des palästinensischen Volkes, wenig Solidarität mit dem Teil ihres Volkes zu demonstrieren, der augenblicklich unter der Herrschaft der Hamas lebt. Immerhin hat sich die Palästinensische Generaldelegation in Berlin in einer mageren Stellungnahme zu diesen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ veranlasst gesehen.

Die Solidaritätsbewegung mit dem palästinensischen Volk muss alle Kraft darauf verwenden, die Besatzung der palästinensischen Gebiete zu beenden und die internationale Staatengemeinschaft davon zu überzeugen, dass die Anerkennung eines palästinensischen Staates seit über 60 Jahren überfällig ist. Einen Anfang haben einige Staaten Lateinamerikas gemacht, die Europäische Union sollte geschlossen folgen. Wenn die EU diesen Schritt vollzogen hat, werden alle anderen Staaten nachziehen, bis auf die Verweigerungsfront: die Vereinigten Staaten von Amerika, Israel und vielleicht noch Palau und Mikronesien. Mit dieser überfälligen Anerkennung würde die internationale Staatengemeinschaft nicht nur ihre rechtlichen Verpflichtungen erfüllen, sondern auch den Respekt vor dem Völkerrecht garantieren.

Sonntag, 26. Dezember 2010

Fatwas in Nadelstreifen und Designer-Kostümen

Als vor über 20 Jahren Ayatollah Khomeini eine Fatwa gegen den indisch-britischen Schriftsteller Salman Rushdie erließ, in der er zu seiner Tötung aufgerufen hatte, weil er in seinem Roman „Die Satanischen Verse“ angeblich den Koran, den Islam und dessen Propheten Mohammad beleidigt haben soll, kam es zu Recht zu einem weltweiten Aufschrei der Empörung.

Die Zeiten haben sich geändert. Diese Methode, öffentlich zur Liquidierung Andersdenkender aufzurufen, hat nun auch Einzug in das Denken des „aufgeklärten“ Westens gehalten. Wie so oft in den letzten 60 Jahren kommt auch dies u. a. aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses Mal richtet sich der „Mordaufruf“ gegen Julian Assange, den Gründer der Website „WikiLeaks“. Das einzige „Verbrechen“, das Assange begangen hat, besteht in der Veröffentlichung unzähliger Dokumente, die zeigen, wie undemokratisch, kriminell und menschenverachtend nicht nur die US-amerikanische Kriegspolitik in Iraq und Afghanistan ist, sondern auch wie doppelzüngig die US-amerikanische Diplomatie arbeitet und welche geringschätzige, ja verächtliche Meinung die Vertreter des US-Imperiums über fast alle Regierungsvertreter der Welt haben. Das US-Department of State wies sogar seine Diplomaten an, die Vertreter der Mitgliedstaaten der UNO, inklusive des UN-Generalsekretärs und der permanenten Mitglieder des US-Sicherheitsrates auszuspionieren. Von dem Tratsch und Klatsch in den US-Depeschen gar nicht zu reden. Die Veröffentlichung des Videos, auf dem live die willkürliche Hinrichtung von Unschuldigen im Irak durch einen Apache-Kampfhelikopter zu sehen war, scheint nur ein kleiner Ausschnitt der brutalen Besatzungsrealität im Irak widerzuspiegeln.

Seither geht das US-Imperium mit ganzer Macht gegen den „benign whistleblower“ Assange vor. Man versucht, Gesetze zu konstruieren oder so zu beugen, dass man ihm in den USA einen Prozess wegen Spionage machen kann. Damit aber noch nicht genug. Bekannte politische Figuren des US-Establishments wie der mögliche republikanische Präsidentschaftsbewerber für 2012, Mike Huckabee, erklärte: "Whoever in our government leaked that information is guilty of treason, and I think anything less than execution is too kind a penalty." Und eine weitere potenzielle Kandidatin für den bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlkampf und ehemalige Kandidatin für den Posten des US-Vizepräsidenten im Wahlkampf 2008, Sarah Palin, rief dazu auf, Assange „zur Strecke zu bringen“ (hunted down). Und auf Facebook erklärte sie: „"He is an anti-American operative with blood on his hands. His past posting of classified documents revealed the identity of more than 100 Afghan sources to the Taleban. Why was he not pursued with the same urgency we pursue Al-Qaeda and Taleban leaders?" Dagegen hat das US-Verteidigungsministerium bestätigt, dass kein Menschenleben durch die Veröffentlichungen von WikiLeaks in Gefahr gebracht worden sei. Es ist kaum auszudenken, wenn einer dieser beiden der nächste US-Präsident/in werden sollte. Der politischen Irrationalität schiene Tür und Tor geöffnet.

Der Aufruf zur Vernichtung von Assange scheint kein ausschließlich US-amerikanisches Phänomen zu sein, aber doch ein nordamerikanisches. So rief ein enger Berater des kanadischen Ministerpräsidenten Stephen Harper, Tom Flanagan, im kanadischen Fernsehsender CBC öffentlich zur Ermordung von Assange auf: "I think Assange should be assassinated, actually. I think Obama should put out a contract and maybe use a drone or something. I wouldn't feel unhappy if Assange does disappear."

Ein Aufschrei der Empörung über diese Mordaufrufe war in der westlich-demokratischen Medienöffentlichkeit nirgendwo zu vernehmen. Liegt es daran, dass die neuen Fatwas nicht mehr mit Turban daherkommen, sondern in Nadelstreifen und Designer-Kostümen? In jedem gut-funktionierenden Rechtsstaat würde der- oder diejenige, die öffentlich zur Ermordung eines anderen Menschen aufruft, angeklagt werden. Aber das US-Imperium hat spätestens seit 9/11 den rechtsstaatlichen Pfad verlassen. Zahlreiche Kritiker in den USA attestieren ihrem eigenen Land, sich mit Siebenmeilenstiefeln auf einen „Polizeistaat“ zuzubewegen. Er scheint aber schon längst etabliert zu sein, wenn man den gigantomanischen Aufwand an Kontrolle und Überwachung der US-Bürger und den Ausbau des Sicherheitsapparates betrachtet. Das pikante daran ist, dass dies unter dem ersten nicht-weißen Präsidenten Barack Hussein Obama und ehemaligen „Law-Professer“ weiter geschieht, der durch seine blendende Rhetorik und dem Slogan „Change, yes we can“, eine radikale Abkehr von der verheerenden achtjährigen Präsidentschaft George W. Bushs angekündigt hatte. Geblieben ist nur heiße Luft, und es ist alles nur noch schlimmer geworden.

Freitag, 24. Dezember 2010

Eine Bestätigung für politische Irrationalität

Normalerweise reagiere ich nicht auf diese Art von persönlich-aggressiven und emotionalen Anmerkungen, die in der Regel mehr über die eingeschränkte Vermittlungsfähigkeit der Verfasser/in aussagen, als ihnen lieb sein kann. Ich nehme kein einziges Wort meiner sachlichen Bewertung dieses Dokumentes zurück, weise aber die zahlreichen falschen Behauptungen und Unterstellungen in ihrem Beitrag zurück.

So findet sich in meinem Beitrag nicht das mir unterstellte Begriffspaar „Spaltung und Sektierertum“. In meinem Beitrag befinden sich auch keine „gezielt falschen Behauptungen“. Diese verzerrte Wahrnehmung macht man an dem von mir nicht zitierten Halbsatz von Frau Langer fest, die in Bezug auf die „Einstaatenlösung“ auch gesagt hat, „die Hoffnung bleibt“. Diese Floskel hat keinerlei politische Bedeutung, wenn man ihre Rede in Gänze liest. Eines ihrer Bücher trägt auch den Titel: „Um Hoffnung kämpfen“. In der Tat darf man dem Palästinensischen Volk die Hoffnung auf einen eigenen demokratischen Staat in Freiheit von fremder Besetzung nicht nehmen. Dass der Staat Israel einer dieser Nachbarstaaten ist, sollte den Verfassern der „Stuttgarter Erklärung“ aber auch klar sein. An dieser Art von „Debatte“ werde ich mich nicht länger beteiligen.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Ein- oder Zweistaatenlösung für Palästina?

Vom 26. bis 28. November 2010 fand in Stuttgart eine Palästina-Solidaritätskonferenz unter dem Titel „Getrennte Vergangenheit - Gemeinsame Zukunft“ statt, in deren Folge eine so genannte Stuttgarter Erklärung veröffentlicht worden ist, die sich für eine Einstaatenlösung als “Königsweg“ zur Lösung des Nahostkonflikts im Namen der Referenten/Innen und der Mehrzahl der Teilnehmer/Innen ausspricht. Der Duktus der Erklärung ist in Teilen aggressiv und polemisch. Es wird nicht eine sachliche Alternative angeboten, sondern die Befürworter einer Zweistaatenlösung werden dahingehend diskreditiert, dass sie angeblich „dogmatisch“ an einer solchen festhalten würden und die „Realitäten“ ignorierten. Des Weiteren würde eine Zweistaatenlösung die „Ungleichheit“ vertiefen und zementieren. Völlig unredlich ist die implizite Verbindung zwischen Einstaatenlösung und der BDS-Kampagne (Boykott, Deinvestition und Sanktionen). Eine an weltweiter Unterstützung gewinnende Bewegung, die auf das Ende der Besetzung des palästinensischen Heimatlandes durch Israel abzielt, wird mit einem unpolitischen, weil unrealistischen Ziel der Einstaatenlösung verbunden.

Die Debatte um eine Einstaatenlösung ist fast so alt wie der Konflikt selber. Nicht erst die Unterzeichner der „Stuttgarter Erklärung“ haben dies entdeckt, sondern bereits Martin Buber, Gerschom Scholem u. v. a. m.; sie haben sich in den dreißiger und vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts für diese fortschrittlichste aller Lösungen eingesetzt. Matzpen in Israel, die Kommunistische Partei Israels, ja selbst der Kommunistische Bund in der Bundesrepublik Deutschland haben sich für einen multinationalen Staat in Palästina ausgesprochen. Die Geschichte ist leider darüber hinweggegangen. Konnten sich die jüdischen Vertreter einer Einstaatenlösung schon nicht gegen die Vorstellung der damaligen Vertreter des Zionismus auf der internationalen Bühne durchsetzen, umso weniger werden die heutigen Vertreter dieser Idee gehört werden. Die Gründung eines jüdischen Staates war spätestens seit der Verkündung der „Balfour-Erklärung“ dezidiertes Ziel nicht nur des britischen Empires, sondern spätestens seit der Präsidentschaft Woodrow Wilsons auch das Ziel der US-amerikanischen Außenpolitik, von den zionistischen Vertretern gar nicht zu reden. Wer die Debatte in den Vereinten Nationen kennt, sollte wissen, dass die zionistischen Vertreter damals nur ein einziges Ziel verfolgten, und zwar die Gründung eines jüdischen Staates auf der Grundlage des „public law“. Der Holocaust spielte bei dieser Debatte keine Rolle. Die einzige Macht, die dieses Argument für die Staatsgründung in die Debatte eingeführt hatte, war der damalige Vertreter der Sowjetunion im UN-Sicherheitsrat, Andrei Gromyko. Seine Argumentation für das Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat beruhte auf der Katastrophe des Holocausts, wie dies John Strawson von der „University of East London“ in seiner Untersuchung „Partitioning Palestine“ überzeugend dokumentiert hat.

Da alle politischen Aktionen des palästinensischen Widerstandes und auch die Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung fruchtlos geblieben sind, scheinen die Verfasser der „Stuttgarter Erklärung“ zu dem Schluss gekommen zu sein, es einmal mit Aktionen zur Erreichung einer Einstaatenlösung zu versuchen. Das politisch Fatale ist jedoch, dass sie diesen Vorschlag mit der gerade laufen BDS-Kampagne verbinden, die jedoch auf ein anderes Ziel gerichtet ist, und zwar durch internationalen Druck die Beendigung der Besetzung palästinensischen Landes zu erreichen. Damit wird der BDS-Aktion schwerer Schaden zugefügt, weil es die palästinensische und internationale Kampagne mit einer utopischen politischen Forderung überfrachtet; so etwas wirkt kontraproduktiv. Auf diese spalterischen Tendenzen hat zuerst die Dortmunder Raumplanerin Viktoria Waltz in einer Email hingewiesen, die für Furore innerhalb der Community gesorgt hat. Auch Thomas Immanuel Steinberg hat diesen negativen Aspekt betont.

Die Forderung nach einer Einstaatenlösung hat in Israel vielleicht ein Dutzend Befürworter, die keinerlei politischen Einfluss haben. Die gesamte politische Elite des Landes ist dagegen. Auch unter der palästinensischen politischen Elite scheint es Frustrierte zu geben, die sich von dem so genannten Friedensprozess ein „Singapur“ erhofft haben. Sie wollen nun die Trümmer ihrer politischen Unfähigkeit den israelischen Besatzern vor die Füße werfen und sich wieder bequem in der US-amerikanisch-europäisch-finanzierten Besatzungsherrschaft einrichten. Eine Einstaatenlösung würde für sie die Akzeptanz von Bürgern zweiter Klasse auf ewig bedeuten. Selbst der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, der von rechtsnationalistischen und rechtsextremen Kreisen als „linksextrem“ eingeschätzt wird, hält von diesem Konzept gar nichts. "Das ist leeres Geschwätz einiger weniger Professoren, die schlicht die Nase voll haben von Israel und es auflösen wollen." Auch für Noam Chomsky, Norman Finkelstein und Felicia Langer sprechen politische und völkerrechtliche Gründe gegen das Konzept einer Einstaatenlösung.

Es ist merkwürdig, dass die „Schirmfrau“ dieser Stuttgarter Veranstaltung über diese Erklärung vorab nicht informiert worden ist. In Ihrer Rede auf dieser Konferenz erklärte sie, dass man behaupte, dass die Zweistaatenlösung nicht mehr in Frage komme, weil dies für die Palästinenser nur in einem Bantustan enden könne, was für sie unannehmbar sei. Sie erinnerte die Zuhörerschaft daran, dass die französische Kolonialmacht nach ihrer Niederlage in Algerien eine Million französischer Siedler aus dem Land transferiert habe. Die Einstaatenlösung habe zwar „wunderschöne Eigenschaften“, aber sie fürchte, dass sie „unrealistisch“ sei. In einem Interview mit mir erklärte Felicia Langer: „Das Schlussdokument - die so genannte Stuttgarter Erklärung - spaltet, anstatt sich auf die wichtigste Aufgabe, nämlich den Kampf gegen Besatzung und die gegenwärtige barbarische Politik Israels gegenüber den Palästinensern zu konzentrieren. Das palästinensische Volk muss alleine über die Lösung entscheiden, und man soll seinen Kampf unterstützen. Eine beleidigende Terminologie über das ´dogmatische Festhalten der so genannten internationalen Gemeinschaft an der Zweistaatenlösung` etc. ist fehl am Platz. Diese Erklärung zersplittert unsere Reihen, deren Einheit wir so dringend brauchen`; sie ist ein Eigentor, deshalb bin ich dagegen.“

Die internationale Solidaritätsbewegung sollte sich auf Folgendes konzentrieren: Primär muss es ihr um das Ende der israelischen Besatzungspolitik und die Gründung eines palästinensischen Staates in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht gehen. Das Recht auf Heimat und das Selbstbestimmungsrecht stehen jedem Volk nach Völkerrecht zu. Die Zweistaatenlösung wurde bereits durch die UN-Teilungsresolution vorbestimmt. Die Vertreter des palästinensischen Volkes haben sich dazu erst 1988 in Algier durchringen können, als PLO-Chef Yassir Arafat nicht nur den Staat Palästina proklamiert, sondern auch den Staat Israel in den Grenzen von 1967 anerkannt hat. Dass sich die PLO ursprünglich einmal für einen säkularen Staat in ganz Palästina eingesetzt hat, ist Geschichte. Die gesamte internationale Staatengemeinschaft vertritt die These von zwei Staaten im Gebiet des historischen Palästina. Sie sollte deshalb alles daransetzen, dass dieses Ziel schnellstens erreicht wird, da sonst kein Territorium mehr zur Verfügung steht, auf dem die Palästinenser ihren Staat errichten können. Es muss das Ziel sein, diesen Staat auf der Grundlage des Völkerrechts zu gründen, dies bedeutet, dass alle seit der Besetzung im Jahre 1967 einseitig vorgenommen politischen Maßnahmen der Besatzungsmacht rückgängig zu machen sind, da sie dem Völkerrecht widersprechen. Hauptzielländer der Solidaritätsbewegung müssen deshalb die USA und die wichtigsten Staaten der Europäische Union sein, da sie die treuesten Verbündeten Israels sind und dessen völkerrechts- und menschenrechtswidrige Politik vorbehaltlos unterstützen. Aber auch die anderen Mitgliedstaaten der UNO sind wichtig, wie die jüngsten diplomatischen Anerkennungen eines Staates Palästina durch Brasilien, Argentinien und Bolivien zeigen. Die UNO als Institution steht immer noch in der Pflicht, den zweiten Teil der Teilungsresolution politisch umzusetzen, und zwar die Gründung des Staates Palästina prioritär zu verfolgen.

Die Solidaritätsbewegung muss darüber hinaus noch eine zweite Stoßrichtung haben, und zwar die Innenpolitik des Staates Israel. Israel definiert sich selber als „jüdisch und demokratisch“, was kluge und weitsichtige Israelis für ein Oxymoron, einen Widerspruch in sich, und für einen Irrweg halten. Israel ist in weiten Teilen eine sehr lebendige Demokratie, aber im klassischen Wortsinne nur für seine jüdischen Staatsbürger. Alle nicht-jüdischen Bürger des Landes sind Bürger zweiter Klasse. Es gibt zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die diesen diskriminierenden Status festschreiben. Das Ziel der Solidaritätsbewegung muss sein, dies öffentlich zu machen, damit sich Israel von einer „Ethnokratie“ zu einer Demokratie im westlichen Sinne für alle seine Bewohner wandelt. Es gehört auch zur Pflicht der Unterstützer Israels, ihre doppelten Standards aufzugeben und die Führung des Landes zu überzeugen, sich zu einer Demokratie im klassisch-westlichen Verständnis zu wandeln. Ein solcher Staat aller seine Bürger neben einem souveränen Staat Palästina, der diesen Namen verdient, liegt im Interesse aller Beteiligten. Ein Haupthindernis auf dem Weg zu einer vollwertigen Demokratie scheint die Ideologie des Zionismus darzustellen. Sie sollte deshalb auch im Fokus der Solidaritätsbewegung stehen. Wie brisant eine Zionismus-kritische Haltung ist, die bis zur persönlichen Vernichtung reichen kann, zeigt das Beispiel von Ilan Pappé, der, um wieder frei lehren zu können, ins Exil nach Großbritannien gehen musste.

Der Solidaritätsbewegung sollte bewusst bleiben, dass, was auch immer das palästinensische Volk nach dem Ende der Besetzung für sich in freier Selbstbestimmung entscheiden wird, zu akzeptieren ist. Primäres Ziel muss das Ende der Besetzung sein, alles andere wird sich dann ergeben.

Sonntag, 19. Dezember 2010

Buon compleanno, Felicia Langer!

Questa settimana l'avvocatessa per i diritti umani, la tedesca-israeliana Felicia Langer, ha compiuto il sui 80 anni, nella cittadina di Tuebingen. L'anno scorso, Felicia Langer ed il suo marito Mieciu poterono festeggiare i loro 60 anni di matrimonio. Langer nacque in Polonia. Quando il regime nazista tedesco attaccò la Polonia, nel settembre 1939, lei e la sua famiglia fuggirono nell'Unione Sovietica, dove rimasero fino alla fine della Seconda Guerra Mondiale. La famiglia di cui sarebbe diventato il suo marito invece, non fu altrettanto “fortunata”. Tutti, tranne Mieciu, furono sterminati dagli aguzzini nazisti, mentre egli riuscì a sopravvivere ad una sequenza di campi di concentramento.

In seguito al loro matrimonio, nell'anno 1950 la coppia emigrò in Israele. Dopo la nascita del figlio Michael, Felicia Langer s'iscrisse a giurisprudenza presso l'Università Ebraica di Gerusalemme. Nel 1965 iniziò a lavorare come avvocato. In seguito all'occupazione dei territori palestinesi nella guerra del 1967, per più di un decennio Felicia Langer rimase l'unico legale ad assumersi la difesa di palestinesi nei tribunali militari d'Israele (“tribunali canguro”). Però, la sua interpretazione delle leggi d'Israele e di quelle internazionali male si adeguò al concetto di legge sul quale furono istituiti i “tribunali canguro”. La Langer subirà non solo l'arroganza dei giudici militari, ma dovette anche sopportare la diffamazione da parte dei suoi compaesani.

Tuttavia, un grande successo la Langer riuscì a conseguire: davanti all'Alta Corte per la Giustizia israeliana, riuscì a scongiurare la deportazione di Bassam Shaka, il sindaco di Nablus. Nel 1990 Felicia Langer chiuderà il suo studio legale per trasferirsi, assieme alla sua famiglia, in Germania. Si stabilirono nella cittadina di Tuebingen, nel Baden Wuerttemberg. Da allora, Felicia Langer continua a battersi per i diritti della popolazione palestinese, ma anche per una Germania migliore.

Il suo impegno è stato sia verbale che attraverso le sue pubblicazioni. Per informare il pubblico tedesco, Felicia Langer scrisse undici libri mettendo in evidenza l'oppressione dei Palestinesi nella loro stessa patria tramite l'occupazione israeliana. E' stata criticata per il suo linguaggio schietto e trattata con estrema ostilità da parte di un gruppo di pressione pro-Israele, di orientamento di destra, che dà l'impressione di curarsi più delle sorti dello Stato d'Israele che non di quelle degli ebrei in Germania.

Quando l'ex-Presidente della Germania, Horst Koehler, le conferì la Croce dei Meriti della Repubblica Federale Tedesca, questi gruppi di pressione rimasero contrariati. Alcuni di loro, cui in passato era stato conferito la stessa onorificenza, cercarono di ricattare il Presidente Koehler affinché ritirasse la Croce dei Meriti alla Langer minacciando che altrimenti avrebbero riconsegnato la propria. Felicia Langer riuscì a superare queste diffamazioni mantenendo la propria dignità ed ignorando completamente le angherie.

Un profeta tipicamente non viene riconosciuto nel proprio paese. Mentre gode dell'alta stima di israeliani non sionisti, Felicia Langer è diventata quasi un “idolo” per palestinesi. Quando partecipammo insieme ad una conferenza nella Gerusalemme Est, intere famiglie di palestinesi si fecero avanti per ringraziarla di nuovo per ciò che ha fatto per loro. Dopo il suo trasferimento da Israele, a Felicia Langer furono conferiti vari premi prestigiosi, tra l'altro il Premio Nobel per la Pace Alternativo. I tedeschi dovrebbero essere contenti che lei abbia deciso di trasferirsi nel loro paese accettando la cittadinanza tedesca, che storicamente non poteva essere data per scontata. Personalmente mi annovero tra i fortunati che hanno potuto avvalersi per molti anni dei buoni consigli di Felicia Langer e cercherò di camminare nelle sue orme sulla strada verso la verità e la giustizia. Le auguro un buon compleanno, o, come si dice in polacco, sto lat, sto lat !

Ludwig Watzal

Traduzione italiana da Susanne Scheidt, bubblicista, Milano. Arab Monitor. In ingelse qui, qui e qui.

Samstag, 18. Dezember 2010

Die Farce des “Friedensprozesses” im Nahen Osten

Im Nahen Osten ist zum X-ten-Mal der “Friedensprozess” ausgebrochen, und die US-amerikanisch-dominierte Medienöffentlichkeit ist zum wiederholten Male aus dem Häuschen. Argumente und politische Spitzfindigkeiten werden ausgetauscht und rhetorisch als „seriös“ hin und her gewälzt, als ob es um ein friedliches Nebeneinander des israelischen und palästinensischen Volkes auf Augenhöhe gehen würde. Darum ging es bereits 1993 nicht, als dieser „Friedensprozess“ zum ersten Male auf der internationalen Bühne zelebriert worden ist. Bereits zum damaligen Zeitpunkt war die Unterwerfung des kolonisierten Volkes angesagt. Yassir Arafat, der „Terrorist“ und „Freiheitskämpfer“, wurde von Yitzhak Rabin und US-Präsident Bill Clinton auf der internationalen Bühne als hoffähiger Akteur etabliert, damit er die Sicherheit der Siedler in den besetzten Gebieten und die der Bewohner in Israel proper mit sichern helfen sollte. Diese Rolle hatte er für einige Jahre gut gespielt, bis ihm klar wurde, dass der „Friedensprozess“ keinen Staat „Palästina“ zum Ziel hatte, sondern einen Bantustan. Für den „Präsidenten Palästinas“, Mahmoud Abbas und seine Kumpane, sollte die Geschichte eigentlich eine Lehre sein. Aber wie es scheint, haben die Palästinenser aus der Geschichte mit dem Zionismus nichts gelernt.

Für seine „Dienstleistung“ erhielt Arafat die Insignien eines „Präsidenten“ Palästinas: einige Landstücke seines Heimatlandes zur Selbstverwaltung, eine „Regierung“ mit „Ministern“ und unzähligen „Generaldirektoren“ - alle fürstlich ausgestattet mit Fuhrpark, Handys und üppigen Gehältern, die der Westen als Morgengabe für die fortdauernde Besetzung zur Verfügung gestellt hat, -. eine Fahne, eine Präsidentenlimousine mit Fahnenständer, eine Dudelsackkapelle, die bei „Staatsbesuchen“ „al-Biladi“ (Mein Land) intonieren durfte, eine Briefmarke mit seinem Konterfei, einen Flughafen im Gaza-Streifen, von dem er aber nur für seine Weltumsegelungen mit Genehmigung der israelischen Besatzungsbehörden abheben konnte, „Reispässe“, die nicht zur Ausreise aus den besetzten Gebieten berechtigten, sowie die Weitergabe jedweder Anträge an die „Autonomiebehörde“ zur Genehmigung durch die Israelis. Ironischer Weise begann die aggressivste Phase der Kolonisierung Palästinas erst mit Ausbruch dieses „Friedensprozesses“. Daran hat sich bis heute nichts geändert, im Gegenteil: Es ist alles noch viel schlimmer, ja schlicht katastrophal und zutiefst Menschenunwürdig für die Besetzen und Kolonisierten geworden.

Vor den Zwischenwahlen in den USA mutete US-Präsident Barack Hussein Obama der Welt eine neue Runde dieser Farce zu. Ob man nach der Ohrfeige des Wählers Anfang November vom Obama diesbezüglich etwas hören wird, darf bezweifelt werden. Das Nobelkomitee hat ihm doch schon den Friedensnobelpreis nach einigen Wochen im Amt verliehen. Warum sollte er sich noch anstrengen? Für welche Leistung wurde der erste nicht-weiße US-Präsident ausgezeichnet, fragten sich nicht nur die Obama-Fans? Ein Präsident, der zwei Kolonialkriege seines Vorgängers weiterführt bzw. diese noch ausweitet, die Verliese in Irak, Afghanistan und Guantanamo weiterbetreibt, Schauprozesse von fragwürdigen „Gerichten“ durchführen lässt, wird mit der höchsten moralischen Auszeichnung geehrt, welche zu vergeben ist! Dieses Nobelkomitee hat sogar George Orwell getoppt. Es scheint, als trete Obama die Flucht nach vorne an, um in seiner ersten und vielleicht letzten Amtszeit noch für seine Reputation zu retten, was zu retten ist. Der israelische Ministerpräsident Netanyahu zusammen mit Joe Biden, dem US-amerikanischen Vizepräsident, in die Scharanken gewiesen. Die Abbas-Palästinenser wären gut beraten, nicht mehr auf Obama zu setzen. Dieser endlose Konflikt hat schon viele US-Präsidenten kommen und gehen sehen, und die „Israellobby“ (Mearsheimer/Walt) ist immer noch dieselbe.

Die westliche Staatenwelt hat einen großen Vorteil gegenüber allen autoritären, diktatorischen und totalitären Regimen: ihre freiheitlich-demokratischen Gesellschaften samt deren Werte. Gerade letztere werden aber im augenblicklichen „Friedensprozess“ mit Füßen getreten, weil sie diejenigen ausgrenzt, die über die einzige demokratische Legitimation in Palästina verfügen: die Hamas, wie grotesk es auch klingen mag. 2006 wurde diese Bewegung oder Partei von über 60 Prozent der palästinensischen Bevölkerung in freien, demokratischen, gleichen und geheimen Wahlen als ihre parlamentarische Vertretung gewählt. Erstmalig wurde in der arabischen Welt eine korrupte politische Elite in freien Wahlen von der Macht abgewählt. Anstatt dies zu begrüßen, übernahm der Westen kritiklos die politische Position der israelischen Regierung und verdammte die neue Regierung, obgleich die Kritik des Westens an der alten Abbas-Regierung mehr als berechtigt war. So kritisierte der Westen die palästinensische Führung unter „Präsident“ Abbas wegen deren weitverbreiteter Korruption, ihrer schlechten Regierungsführung und ihrer antidemokratischen Haltung. Trotz dieser berechtigten Kritik an der Abbas-Regierung, missachtete der Westen den freien Willen des palästinensischen Volkes; es hatte nicht so gewählt, wie es sich der Westen vorgestellt hatte. Wurde vielleicht das falsche Volk zu den Wahlurnen gerufen? Was kann der Westen noch mehr tun, als durch seine Haltung die eigenen „westlichen Werte“ so ad absurdum zu führen? Auch im „Atom“-Streit mit dem Iran kommen die doppelten Standards des Westens zum Tragen. Der Iran hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, sich allen Regeln der Atomenergiekommission in Wien unterworfen, trotzdem unterstellt der Westen aufgrund rassistischer Vorurteile gegenüber „den Muslimen“, die iranische Führung spiele nicht mit offenen Karten. Israel ist die viert-stärkste Militärmacht der Welt und wird bedingungslos von der einzigen „Hypermacht“, den USA, unterstützt. Israel hat weit über 200 Atomsprengköpfe, Iran hat Null! Was soll also das Gerede von der Bedrohung Israels?

Präsident Obamas „Glanz“ ist in jeder Beziehung verblasst. In rhetorischer Teleprompter-Brillianz hat er sich an die muslimische Welt gewandt und den israelischen Ministerpräsidenten öffentlich vorgeführt. Beide Male sprang er als Löwe und endete als Bettvorleger. Seine Autorität in den USA ist völlig dahin, nicht nur wegen der Hetzkampagnen der rechtskonservativen Neocons, der kleinbürgerlichen Tea-Party-Bewegung oder der Armageddon-zentrierten christlichen Fundamentalisten. Selbst seine Kollegen/innen im Westen wollen sich in seinem „Glanz“ nicht mehr sonnen. Dies gilt umso mehr für den Nahen Osten, die Ausnahmen bilden „Präsident“ Abbas und die von den USA völlig abhängigen Präsidenten Jordaniens und Ägyptens, die Abhängigkeit der saudi-arabischen Autokratie steht auf einem anderen Blatt. Diese „Amtskollegen“ haben bei der Tagung der Arabischen Liga Anfang Oktober Abbas empfehlen, die „Friedensgespräche“ nicht abzubrechen, sondern aus opportunistischen Gründen aufzuschieben, obgleich es dafür keine Grundlage mehr gibt. Von Netanyahu etwas anderes als politisch-taktische Spielchen Bezug auf Siedlungsstopp zu erwarten, wäre so, als ob man ihn als „Staatsmann“ einstufen würde. Auch 1947/48 pilgerten die palästinensischen Politiker zum „Arab Higher Committee“ nach Kairo und in andere arabischen Hauptstädte, um sich Rat bei einer desolaten arabischen Führung zu holen, die nicht an der palästinensischen Sache, sondern nur daran interessiert war, wie sie den Einfluss ihrer anderen arabischen Rivalen konterkarieren konnte. Eine als „Befreiungsbewegung“ für das palästinensische Volk gestartete PLO, ist - dank des Westens und seiner arabischen Verbündeten - zu einer Karikatur ihrer selbst verkommen. Vielleicht haben sogar die Abbas-Palästinenser vergessen, warum die PLO eigentlich gegründet worden ist. Das westliche Dilemma wird noch durch die Illegitimität von Abbas und seiner „Regierung“ unter Ministerpräsident Salman Fayyad verstärkt. Beiden fehlt jede demokratische Legitimation. Aber kam der Westen nicht immer schon besser mit Despoten aus, nur weil sie als Garanten einer imaginierten politischen Stabilität zu seinen Gunsten betrachtet worden sind?

Dem Westen seien noch einmal folgende völkerrechtlichen Fakten in Erinnerung gerufen: Die im Sechstagekrieg von 1967 eroberten Gebiete - Westbank, Gaza-Streifen, Ost-Jerusalem und die Golan-Höhen -, sind illegal besetzt. Ein Transfer der Bevölkerung des Besatzers widerspricht Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention, ebenso der Bau von Siedlerkolonien. Alle Maßnahmen des Besatzers, die nicht dem Wohl der besetzten Bevölkerung sind, gelten als null und nichtig wie z. B. das Abzapfen des Grundwassers, der Raub palästinensischen Landes, die Zerstörung von Wohnhäusern in besetzten Gebieten, die Folter ihrer Einwohner, die totale Abriegelung der Gebiete, die willkürliche Ausreisebeschränkung, der Bau einer acht Meter hohen Mauer oder eines „Sicherheitszaunes“ weitestgehend auf besetztem Gebiet, wie es der Internationale Gerichtshof 2004 in Den Haag in einem Gutachten festgestellt hat. Durch diese völkerrechtswidrige Mauer werden 90 Prozent Rest-Palästinas von Israel eingemeindet. Alle diese völkerrechtswidrigen Maßnahmen der israelischen Besatzungsmacht scheinen den Westen mit seinen „westlichen Werten“ wenig zu interessieren. Übrigens: Das Genfer Abkommen ist für alle Staaten verbindlich. Laut Artikel 1 verpflichten sich alle Vertragsparteien, "das Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen." Bestehen im israelischen Fall die „westlichen Werten“ darin, dass jede völkerrechtswidrige Aktion oder jede Verletzung der Menschenrechte mit diesen im Einklang stehen? Wäre dies der Fall, bleibt von der Glaubwürdigkeit „des Westens“ wenig übrig.

Unter den obwaltenden machtpolitischen Umständen wird diese friedenspolitische Farce für einige Zeit auf der internationalen Bühne aufgeführt werden. Sollten die Abbas-Palästinenser einen „Friedensvertrag“ mit Israel unterzeichnen, wird dieser aufgrund mangelnder Legitimität der Unterzeichner und der fehlenden palästinensischen Einheit keinen Tag Bestand haben. Für wen spricht Abbas überhaupt, außer für sich und seine Kumpane? Ob der Westen aber die Aufrechterhaltung einer solchen Abmachung auf Dauer unbeschadet überstehen wird, muss aufgrund historischer Erfahrungen bezweifelt werden. Seine neokolonialen Kriege in Irak und Afghanistan sprechen nicht gerade für rationales politisches Handeln. Ob der Ausweg aus diesem Glaubwürdigkeitsdilemma zur Eröffnung weiterer Kriegsschauplätze wie in Iran, Somalia oder Jemen führen wird, scheint eher einem Taschenspielertrick zu gleichen. Der Westen kämpft nicht wie weiland Don Quijote gegen Windmühlen, sondern gegen eine Hydra. Je mehr „Taliban“ oder „Terroristen“ getötet werden, je mehr erheben sich gegen die US-amerikanischen und israelischen Besatzer. Um dieser Hydra beizukommen, weiten die US-geführten NATO-Truppen den Krieg auf Pakistan aus wie weiland im Vietnamkrieg gegen Kambodscha. Dieses machtpolitische Déjà-vu entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Haben die US-amerikanischen Geostrategen einmal darüber nachgedacht, dass einige Völker Zentralasiens und des Nahen Ostens mit den Neuordnungsvorstellungen der USA und ihrer Helfershelfer nicht einverstanden sind? Besetzung und Widerstand sind zwei Seiten derselben Medaille.

Zuerst veröffentlicht, in: Der Semit.

Moshe Zimmermann, Die Angst vor dem Frieden

Israel sei eine von Ängsten besessene Gesellschaft, und die größte Angst bestehe vor dem Frieden, so Moshe Zimmermann, Leiter des Richard-Koebner-Zentrums für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem. Die Zustandsbeschreibung Israels durch den Autor lässt die Selbstdefinition als der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ als hohle Worthülse erscheinen. Die inneren Widersprüche zum eigenen historischen Narrativ und die Verhaltensweisen dieser Gesellschaft würden Psychologen als „schizophren“ und „paranoid“ bezeichnen, vermutet der Autor.

Israel ist eine regionale Supermacht mit begrenzten Ambitionen. Das Land verfügt - dank der USA und auch Deutschlands - über die modernsten Waffensysteme der Welt, hat ein riesiges Atomwaffenarsenal, plus biologischer und chemischer Waffen, hat mehrere Kriege gegen seine Nachbarn geführt und alle gewonnen, gleichwohl fühlt Israel sich als das ewige Opfer, das immer am Abgrund steht. Diesen „Opfernarrative“ habe der ehemalige Ministerpräsident Levi Eshkol zutreffend mit den Worten des „armseligen Samson“ karikiert.

Zimmermann weist darauf hin, dass sich Israel bewusst als Gegenbild zur zweitausendjährigen Galut (Diaspora) begreife und den „stolzen, neuen Juden“ verkörpere, seine Politiker aber glaubten nicht an eine „Aussichtslosigkeit des Antisemitismus nach der Gründung des Staates Israel“, obgleich gerade die Eliminierung des Antisemitismus das treibende Movens der zionistischen Staatsgründungsidee gewesen sei. Dadurch entlarvten sie sich „praktisch als paranoid“. Die vorhandenen Ängste würden nicht nur verbreitet, sondern „ganz bewusst und zynisch aus Eigeninteresse“ instrumentalisiert, „um die Mehrheit der Gesellschaft als Geisel mit in den endlosen Zustand des Unfriedens zu reißen“. Von einer politischen „Instrumentalisierung“ des Antisemitismus schreibt auch Moshe Zuckermann in seinem jüngsten Buch „Antisemit“. Ein Vorwurf als Herrschaftsinstrument“, das im ProMedia Verlag in Wien erschienen ist.

Die augenblickliche israelische Regierung setzte sich aus den extremsten Elementen der israelischen Gesellschaft zusammen, die zunehmend orthodox und russisch geworden sei, obgleich zirka 55 Prozent sephardische Juden sind. Die moderaten Zionisten seinen zunehmend an den Rand gedrängt und durch die wirklichen „Postzionisten“, d. h. die „ethnozentrischen“ und „religiösen“ Zionisten, ersetzt worden. Dabei handele es sich um eine „Dekonstruktion des traditionellen Zionismus“. Der eigentliche Inhalt dieses wahren Postzionismus sei „das Jüdische im religiös-orthodoxen Sinne“.

Die meisten Israelis wollen wie alle anderen Menschen auch ein modernes „gutes Leben“ führen. Sie würden aber durch „Angst-Botschaften“ wie die vor „den Arabern“, „dem Terror“, den „ABC-Waffen“ oder der „Alle-sind-Gegen-uns-Mentalität“ beherrscht, die zur völligen Kompromisslosigkeit führten. Die israelische Gesellschaft würde jedweder Art von Friedensbestrebungen immer unzugänglicher. Das Schüren von Hass auf Araber oder Gojim (Nicht-Juden) gehöre eigentlich nicht zu den eigentlichen Aufgaben eines Außenministers oder der Akademie seines Amtes. Aber Israel leistet sich beides. „In Israel bemühen sich in jüngster Zeit beide Institutionen eher um das Schüren von Hass auf die arabische Welt. Frieden mit den Arabern wird in ihren Reihen entweder als pure Illusion oder gar als Albtraum betrachtet.“ Der Außenminister halte Bemühungen um Frieden mit den Palästinensern prinzipiell für aussichtslos und irrelevant, so Zimmermann. „Überhaupt neigt Lieberman dazu, die Haltung Israels gegenüber Arabern, auch gegenüber anderen ´Gojim` als Kriecherei zu bezeichnen.“

Die Radikalisierung Israels habe beängstigende Ausmaße erreicht. Maßgeblich an deren Verbreitung seien die Siedler, die „Hügeljugend“, das Militär, die Orthodoxie und wesentliche Teile der Medien beteiligt. Diese Radikalisierung wende sich gegen diejenigen, die der Autor „Israels Geiseln“ nennt: die Juden in der Diaspora, den Westen und das Gedächtnis an den Holocaust. Dieser Hass auf alles Muslimische sei in den Westen importiert worden. Für diese hasserfüllte und intolerante Haltung stehen jüdische Organisationen, Blogger, Journalisten und andere Extremisten, die meinen die brutale israelische Politik gegen alle Vernunft verteidigen zu müssen. Da eine solche Politik mit rationalen Argumenten nicht verteidigt werden kann, greifen diese Organisationen und diese extremistische Szene zu den Mitteln der Verleumdung, Denunziation, Verdrehung der Wahrheit und anderen antidemokratischen Methoden, um jeden „Israelkritiker“ als „Antisemiten“ oder „jüdischen Selbsthasser“ mundtot zu machen. Angeblich delegitimiere diese Spezies Israel. Kein geringer als Uri Avnery hat in einem Beitrag für die „Junge Welt“ vom 10. August 2010 deutlich gemacht, wer die eigentlichen „Delegitimierer“ Israels seien, und zwar der Außen-, Verteidigungs- und der Innenminister des Landes. Das Erschreckende ist, dass sich die jeweiligen nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaften vor den Karren dieser Extremisten und ihrer absurden Vorwürfe spannen lassen. Die Inflationierung des „Antisemitismusvorwurfs“ seitens der israelischen Regierung und ihrer „willigen Helfershelfer“ führe nach Zimmermann dazu, wenn Israelkritik tatsächlich in eine antisemitische Variante übergehe, die Öffentlichkeit nicht mehr wachsam genug reagiere.

Zimmermanns Buch lüftet ein wenig den Schleier seines Landes und gibt Einblicke in die intellektuelle Verfasstheit seiner politischen Elite, welche die uniform berichtenden westlichen Medien nicht den Mut haben zu tun. Diese schreckliche Entwicklung und Geisteshaltung wird von Lobbyisten in die westlichen Demokratien getragen und mit brutalen, antidemokratischen Methoden durchgesetzt und verteidigt, so dass das Recht auf Meinungs- und Redefreiheit aus falsch verstandener Solidarität immer stärker unter die Räder kommt. Bei dem Fanatismus in der israelischen Gesellschaft und ihren Lautsprechern im Westen ist für die Zukunft dieser Gesellschaften nichts Gutes zu erwarten.

Zuerst veröffentlicht, in: Der Semit.

Dienstag, 14. Dezember 2010

Dan Diner, „Keine Zukunft auf den Gräbern der Palästinenser“

Es gibt nur wenige Bücher, die sich auch nach 26 Jahren noch lohnen zu lesen. Dazu gehören neben Dan Diners fundierter, wegweisender und hochaktueller Analyse über Zionismus, Israel und den Palästinakonflikt, Noam Chomskys „Fateful Triangle“ aus dem Jahr 1983, das auf Englisch 1999 neu aufgelegt worden ist. Die Analysen beider Autoren sind heute noch aktueller als zum Zeitpunkt ihrer Erstveröffentlichung. Dan Diner hat bereits 1982 eine Perspektive für die Lösung des Jahrhundertkonfliktes aufgezeigt. Dieser Weg wurde von den politisch Handelnden jedoch nicht beschritten. Dies war Anlass, sein Buch nochmals zu lesen. Der Autor ist seit 1999 Direktor des Simon Dubnow Instituts für jüdische Geschichte und Kultur an der Universität Leipzig.

Dan Diner verfasste seine Studie vor dem Hintergrund des israelisch-palästinensischen Krieges im Libanon vom Sommer 1982. Der Autor liefert eine „politische Bilanz auf geschichtlichem Hintergrund“, die Lösungen aufzeigt, die von „arabischen Palästinensern und jüdischen Israelis“ beschritten werden könnten. Seine Gesamtsicht „rührt aus einer jüdisch-israelischen Erfahrung auf deutschem Vordergrund. Die Intention ist politisch, die Moral universalistisch.“ Die Ergebnisse sind wegweisend.

Die acht Kapitel dieser Abhandlung haben es in sich. In Anbetracht der Emotionalität, die der Nahostkonflikt immer wieder hervorruft, wäre die Veröffentlichung eines solchen Buches heute wahrscheinlich nicht mehr möglich. An dieser Veröffentlichung lässt sich beispielhaft zeigen, wie bizarr die „These“ - „Antizionismus“ = „Antisemitismus“ - ist. Dass ernstzunehmende Kreise dieser Politthese Plausibilität abgewinnen können, ist frappierend. Politische Absicht dieser „These“ ist, die letzten kritischen Stimmen gegen die israelische Besatzungspolitik zum Verstummen zu bringen.

Für Dan Diner war es noch selbstverständlich, dass es sich im Nahen Osten um eine „zionistische Kolonisation“ handele, die gegenüber den ursprünglichen Bewohnern des Landes, den „palästinensischen Arabern“, großes Unrecht begangen habe. Bereits 1982 stellte er fest, dass dieser Konflikt kein „territorialer“ und kein „Konflikt unterschiedlicher Gesellschaftssysteme oder ein Konflikt zweier Exponenten internationaler Lager“ ist; „dieser Konflikt ist vor allem ein demographischer, d. h. bevölkerungspolitischer Natur“. Ariel Sharon brauchte immerhin bis 2005, um dies zu verstehen und die politischen Konsequenzen im Gaza-Streifen zu ziehen.

Bei der israelischen Besetzung der Westbank und des Gaza-Streifens handelt es sich um „ein Phänomen, das sich wie ein roter Faden durch den gesamten Konflikt zieht, nämlich die zionistische Kolonisation des Landes, seine Umwandlung von arabischem in jüdisches Gebiet“. Wäre dieser Konflikt nur ein territorialer, ließe er sich durch die Gründung eines Nationalstaates lösen. Die Palästinafrage ist nach Diner für die palästinensischen Araber aber auch eine „soziale Frage“. „Es handelt sich um das Problem einer durch den zionistischen Kolonisierungsprozess mit der Absicht einer jüdischen Nationalstaatengründung einhergegangenen und einhergehenden Deklassierung einer Bauernbevölkerung.“ Folge davon ist, dass sich im palästinensischen Bewusstsein zwei Momente vermischen: das gewachsene Nationale, das auf die Herstellung eines eigenen Palästinenserstaates drängt, und „die konkrete Forderung der Rückkehr nicht etwa nach Palästina als einem arabischen Nationalstaat der Palästinenser, sondern die Rückkehr zum verlorenen Boden, zum verlorenen Ort und zur verlorenen Lebenswelt“. Die durch die „zionistische Landnahme erzwungene Landlosigkeit“ schafft Identität. Sie wird noch ergänzt durch den „Tag des Bodens“, der seit dem 30. März 1976 von den israelischen Palästinensern begangenen wird. Anlass des gesamtarabischen Streiks in Israel war die Politik der Regierung von Yitzhak Rabin, die umfassende Bodenkonfiskationen in Galiläa durchführte.

Für den Autor sind die Entwicklung eines palästinensischen Nationalbewusstseins und die Herausbildung ihrer besonderen Identität als Palästinenser „ohne die von ihnen als Angriff erfahrene zionistische Kolonisation des Landes mit dem Ziel der Herbeiführung eines jüdischen Staates kaum vorstellbar“. Sie hat sowohl das palästinensische Selbstbewusstsein als auch die Fremdwahrnehmung von den Palästinensern geprägt. Folglich gehören sie auch zur „Erfolgsgeschichte des Zionismus“. Die Widersprüche innerhalb der palästinensischen Sozialstruktur haben nicht unwesentlich zum Erfolg des „zionistischen Kolonisierungsprojektes“ beigetragen. „Diese palästinensische Schwäche machte jenen Vorteil aus, der es den Zionisten erleichtern sollte, die gesellschaftlichen Grundlagen für die Errichtung eines jüdisch-exklusiven Nationalstaates in Palästina gegen die palästinensische Bevölkerung zu setzen.“ Der Autor beschreibt auch die Träger des arabischen Widerstandes gegen die „Kolonisierung“ Palästinas; ihn gab es bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts. 1911 wurde die Zeitung „Filastin“ (Palästina) in Jaffa gegründet. Diner beschreibt das strukturelle Dilemma des palästinensischen Anliegens: Sollten sie ihre Sache zu einer gesamtarabischen oder einer partikularen machen?

Das Auftreten des Zionismus hatte nicht nur für die muslimischen und christlichen Bewohner des Landes verheerende Folgen, sondern auch für deren jüdische Bewohner, die schon immer in Palästina lebten. Der Status letzterer wurde durch die Zionisten „in Frage gestellt“. „Durch die zionistische Kolonisierungspolitik wurde die Spaltung der Gesellschaft in Palästina zunehmend ethnischen Kriterien unterworfen. Der Gegensatz spitzte sich zu einem Gegensatz zwischen Juden und Arabern zu.“ Es gab zwar christliche und muslimische Araber, aber gegenüber den Zionisten traten sie als Araber auf. Die Rolle von Haj Amin al-Husseini ist nur zu verstehen, wenn man die Konkurrenz zwischen den Clans der al-Husseinis und der Naschschibis begreift. Dan Diners Erklärungsansatz ist wesentlich profunder und plausibler als die aus politischen Motiven gespeisten Deutungsversuche einiger Islamdilettanten. Die „Fortsetzung des zionistischen Kolonisierungsprozesses in den besetzten Gebieten“ habe die „in Vergessenheit geratenen Ursprünge des Konflikts wieder ins öffentliche Bewusstsein geholt“.

Aufschlussreich und überaus spannend ist das Kapitel „Zionismus als politische Struktur“. Neben dem demographischen Aspekt gehe es um Territorium. Dieses wurde mit dem Ziel kolonisiert, damit es Teil des „jüdischen Staates“ werden sollte. „Um diesem Boden territorialen, d. h. nationalen Charakter beizugeben, musste er mit jüdischen Siedlern besetzt werden.“ Nach Diner war nicht die Ausbeutung der arabischen Landbevölkerung das Ziel, sondern ihre „physische Ersetzung“ durch „jüdische Landarbeiter“. Es waren also nicht ökonomische Interessen wie die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte, „sondern die Verdrängung der Araber vom Boden und damit aus den zukünftigen Gebieten des zu errichtenden jüdischen Nationalstaates. Der Zweck war demnach genuin politisch.“

Bis 1947 waren sieben Prozent des Bodens in Palästina in zionistischem Besitz. Durch die Gründung Israels habe sich das aber verändert, weil „der Staat selbst zum Mittel der Landnahme wurde. Dies ist die Bedeutung der Bezeichnung zionistisch, wenn vom Staate Israel die Rede ist. Der Staat beruht demnach nicht auf einem Territorium, das als allgemeine Sphäre, als Rechtsraum, für alle seine Bürger Gültigkeit hat. In Israel wird nur jener Boden als jüdisch und damit zum nationalen Zusammenhang gehörig betrachtet, auf dem die Statuten der zionistischen Institutionen Geltung haben und der von Juden unmittelbar besetzt und bearbeitet wird.“ Es gibt zwar noch einen kleinen Teil des Bodens, der aus privatrechtlichen Gründen Arabern gehört. Aber 95 Prozent des Bodens in Israel proper gehört zionistischen Institutionen. „Diese Böden können nur verpachtet werden, und zwar nur an Juden. (…) Deshalb entlässt der zionistische Bodenfonds die seiner Satzung unterworfenen Böden nicht aus seiner Verfügung.“ So könne es aufgrund der „zionistischen Struktur des Staates“ so etwas wie ein „allgemeines jüdisches Territorium“ nicht geben. „Es gibt jüdischen und arabischen Boden, nicht aber israelisches Territorium.“

Ebenso wenig wie es ein „israelisches Territorium“ gebe, gibt es einen „israelischen Staatsbürger mit gleichen Rechten und Pflichten“. Es widerspreche der „zionistischen raison d`etre des Staates“, weil eine Gleichbehandlung der arabischen Bevölkerung den „national ausschließlich jüdischen Charakter des Staates aufheben“ würde. Die Diskriminierung von Arabern in Israel führt der Autor deshalb auch nicht auf eine „ideologische Höherbewertung von Juden schlechthin“ zurück, sondern auf das „demographische Prinzip der Aufrechterhaltung einer jüdischen Mehrheit und damit eines jüdischen Nationalstaates in Palästina“. Um dies dauerhaft zu garantieren, müsse eine Politik fortgesetzt werden, „die auf die Wahrung eines nationalen Charakters aus ist, auch danach ständig gegen die arabische Bevölkerung des Landes fortgesetzt werden muss. Und die Mittel einer Politik, die zur Mehrheitserhaltung der Juden beitragen sollen, nennt man zionistisch.“ Eine Aufhebung dieser Struktur würde zur Gleichberechtigung aller Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten führen, so der Autor. „Da eine solche Anerkennung als Gleiche bzw. Gleichberechtigte durch die zionistische Struktur verhindert wird, entwickelt sich dort ein Bewusstsein, das rassitische Züge annimmt.“

Was der Autor im Kapitel „Israel und jüdisches Bewusstsein“ beschreibt, birgt heutzutage enorme Sprengkraft. „Nationales jüdisches Selbstverständnis war und ist mit Zionismus nicht unbedingt identisch.“ So seien die orientalischen Juden aus ihrer jahrhundertealten und im Irak sogar jahrtausendealten Umgebung erst durch die „zionistische Kolonisation in Palästina und später durch den arabisch-israelischen Konflikt“ herausgebrochen worden. „Für sie wurde der Zionismus unmittelbar zur Ursache ihrer Gefährdung.“ Dan Diners Ausführungen zum zionistischen Selbstverständnis und seinem Herrschaftsanspruch, der Rolle des Holocausts in der israelischen Gesellschaft, der Existenzängste der Menschen u. v. a. m. sind sehr fortschrittlich.

Was Diner zu den Kriegen Israels von 1956 und 1967 schreibt, will man in Deutschland gar nicht so genau wissen. Jeder, der die Geschichte des Konfliktes ohne ideologische Scheuklappen betrachtet, kann mit der Feststellung des Autors konform gehen, der über die Rolle Israel im 1956er-Krieg schreibt: „Der gemeinsame Überfall Israels, Englands und Frankreichs im Oktober 1956 auf Ägypten, das wenige Monate zuvor den Suezkanal verstaatlicht hatte, hatte für Israel neben anderem auch das Ziel, sich den USA gegenüber als Zukünftiges zu profilieren, sich als orientalischer Festlandsockel für westliche Interessen anzudienen.“ Die Anatomie dieses Krieges habe aber auch die unterschiedliche Interessenlage der beteiligten deutlich gemacht. Auch waren die USA über „das Vorgehen der drei Aggressoren erbost und erreichten einen Abbruch der Aktion. (…) Amerikanischer Druck führte auch dazu, dass Israel, das noch im November die Annexion des Sinai erklärt hatte, bis März seine Truppen vollständig von der Halbinsel und aus dem Gazastreifen abzog.“ Auch der Junikrieg von 1967 wird von Diner korrekt als Angriffskrieg gesehen: „Und als Israel trotz seiner Warnung die Mai/Junikrise 1967 zu einem Angriff auf alle umliegenden arabischen Staaten nutzte, verhängte Frankreich einen Waffenboykott gegen Israel.“ Die israelischen Politiker und die Generalität wussten, dass kein Angriff der arabischen Staaten bevorstand.

In der aktuellen Debatte geht es immer auch um die Forderung an die Palästinenser, sie mögen das Existenzrechts Israels anerkennen. Vielleicht ist der deutschen Öffentlichkeit nicht klar, wo der Unterschied zwischen der völkerrechtlichen Anerkennung eines Staates und der Anerkennung eines Existenzrechtes eines Staates liegt; letzteres gibt es weder im Völkerrecht noch sonst wo. Niemand würde auf die Idee kommen, das Existenzrecht der USA, Frankreichs, Tongas oder irgendeines anderen Staates zu verlangen. Auch in dieser Frage hat Dan Diner bereits 1982 erhellendes geschrieben: „Der Staat Israel hat seit seinem Bestehen von den Arabern immer wieder seine Anerkennung als Bedingung jeglicher Lösung im arabisch-israelischen Konflikt gefordert. Diese Forderung nach Anerkennung seitens Israels hatte und hat im wesentlichen den Sinn, die arabische Forderung nach Erfüllung der palästinensischen Rechte zu unterlaufen. Damit fordert der Staat Israel implizite nicht nur die Anerkennung seiner staatlichen Existenz als solche, sondern obendrein die Anerkennung seiner zionistischen Voraussetzungen. Und die Anerkennung seiner zionistischen Voraussetzungen bedeutet Aufrechterhaltung und Garantie nicht nur seiner Existenz als Staat, sondern als Nationalstaat aller Juden. Eingeschlossen ist hierin auch die Forderung nach Anerkennung der historischen Legitimität des jüdisch-nationalen Anspruchs auf das Land Palästina. Eine solche Anerkennung hätte zur Folge, dass die zionistische Landnahme in Palästina nicht etwa durch Einseitigkeit und mittels Gewalt, sondern von Rechts wegen erfolgte. Kurz: Die Araber sollen nicht etwa ein nunmehr bestehendes Ereignis eines von ihnen abgelehnten und bekämpften Kolonisierungsprozesses anerkennen, das sich mit und über seine Anerkennung auch im Interesse der Araber beenden ließe; vielmehr soll im nach hinein dieser Prozess als rechtmäßig legitimiert werden, was gleichbedeutend damit wäre, den eigenen Widerstand als historisch unrechtmäßig hinzunehmen oder gar eine Fortsetzung des Kolonisationsprozesses gutzuheißen.“

Um eine solche Anerkennung könne es nicht gehen, so der Autor. Für ihn „geht es um einen zukünftigen Zustand, in dem Juden und Araber als gleiche in einem Gemeinwesen leben können, das ihnen sowohl individuelle als auch national-kollektive Rechte garantiert. Einen solchen Zustand bezeichnen wir als binational.“ Diner fordert von den Israelis „die bewusstseinsmäßige Anerkennung des Unrechts auf sich zu nehmen, das aufgrund und im Laufe des zionistischen Kolonisationsprozesses den palästinensischen Arabern angetan wurde“. Diese Anerkennung könne sich etwa darin ausdrücken, „dass den vertriebenen Palästinensern ein Recht auf Rückkehr in ihre ursprüngliche Heimat zugestanden wird“. Der Autor tritt für eine „Dezionisierung“ Israels ein, weiß aber auch, wie schwierig eine solche zu realisieren ist. Als ein erster Schritt auf diesem Wege einer Loslösung vom Zionismus wäre eine Anerkennung ihrer Nationalität im Lande. Staatstheoretisch gehe es um die „Entpolitisierung der Nationalität, der Trennung zwischen Herrschaft und den jeweiligen nationalen Attributen“. Beide Nationalitäten sollten vom Verhältnis Mehrheit-Minderheit absehen und sich gleiche national-kollektive Rechte zubilligen, um „programmatisch Binationalität anzustreben“, so der Autor.

Was Dan Diner über Ariel Sharon, den Arbeiterzionismus und den zionistischen Revisionismus schreibt, zeugt von profunder Kenntnis. Die Schuld für Deir Yassin, Kibiya oder Sabra und Shatila trügen nicht nur einige Personen, sondern die Verantwortung für diese Taten sei zu einer „gesamtisraelischen geworden“. Sein Schlusssatz mag zwar durch die tagespolitischen Ereignisse von 1982 geprägt gewesen sein, er hat aber auch programmatischen Charakter: „Es kann keine moralisch und politisch begründbare jüdisch-israelische Existenz auf Kosten – nein, heute muss man sagen: auf den Gräbern der Palästinenser geben.“

Wer ein aufrüttelndes und hochaktuelles Buch lesen möchte, sollte dafür sorgen, dass sich ein mutiger Verlag findet, der es neu verlegt. Dazu bedarf es aber der Zustimmung des Autors. Für die politisch interessierte Öffentlichkeit wäre eine Neuauflage ein großer Gewinn; sie könnte dann von den fortschrittlichen Ideen Dan Diners bewusstseinsmäßig profitieren.

Erstmals 2008 veröffentlicht hier und hier. Auch die Habilitationschrift von Dan Diner ist mehr als lesenswert. Sie wurde 2009 hier besprochen. Diese beiden Bücher gehören zu seinen besten.

Montag, 13. Dezember 2010

Ben White, Israeli Apartheid. A Beginner´s Guide

Die gegenwärtige israelische Regierung ist maßgeblich mit an der Verleumdung von Kritikern der israelischen Regierungspolitik beteiligt. Das israelische Außenministerium unter Leitung Avigdor Liebermans hat nicht nur Tausende von Personen versucht anzuwerben, die im Internet die zionistische Sichtweise dieser Politik verteidigen sollen, sondern auch alle Botschaften angewiesen, so genannte „Allies“ zu rekrutieren, die in den jeweiligen Ländern im Namen Israels gegen so genannte Kritiker der israelischen Besatzungspolitik vorgehen sollen. Diese öffentliche Propaganda-Kampagne des israelischen Außenministeriums kommentiert Barak Ravid in der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ vom 28. November 2010: „The campaign, which will make extensive use of professional advocacy and public relations experts by Israeli embassies in Europe, aims to also use as many as a thousand people in each country, who will be willing to volunteer to spread Israel's message.”

Jeder Botschafter wird von Außenminister Lieberman aufgefordert, eine Liste von potenziellen “Allies” zu erstellen: „Each ambassador was instructed to prepare, by January 16, a list of at least 1,000 "allies" who will be routinely briefed by the embassy for advocacy and public relations. These "allies" will have to be willing to take action on behalf of Israel, through support demonstrations and rallies, in publishing articles in the press, etc.” Eine Frage drängt sich zwangsläufig auf: Machen diese “Israel-Allies” ihre propagandistische Arbeit aus philosemitischer Überzeugung oder gegen Bezahlung? Die israelische Hasbara und ihrer treuen Parteigänger bekämpft die falschen „Israelkritiker“. Die wirklichen Delegitimierer Israels sind nach Uri Avnery der israelische Verteidigungs-, Außen- und Innenminister.

Hier erlangt das Buch des britischen Journalisten Ben White Relevanz. Kämpfen doch die Verteidiger der israelischen Regierungspolitik in ihrem Kampf gegen die so genannten Delegitimierer Israels gegen Windmühlen. Niemand delegtimiert, demonisiert oder wendet in Bezug auf die israelische Politik einen doppelten Standard an. Wer dies tatsächlich tut, sind die wirklichen Delegitimierer im Sinne Uri Avnerys. Niemand setzt Israel mit der Apartheid-Politik des ehemaligen weißen rassistischen Regimes in Südafrika gleich. Dies tun weder der Autor noch John Dugard, der renommierte südafrikanische Professor für Völkerrecht. Beide weisen auf die Unterschiede hin; sie betonen aber auch die „Ähnlichkeiten“. “Israel´s laws and practices in the OPT (Occupied Palestinian Territories L. W.) certainly resemble aspects of apartheid”, so Dugard.

So hat es im Unterschied zu Südafrika in Israel niemals eine „petty Apartheid“ gegeben. Ganz im Gegenteil: In Israel sind jüdische und palästinensische Israelis in allen gesellschaftlichen Bereichen pro-forma gleichberechtigt. Es gibt jedoch feine Unterschiede, und die möchten die politischen Eliten und die Medien in den USA und in einigen Staaten Westeuropas nicht sehen oder darüber berichten, da sonst ihr Klischee vom „beautiful Israel“ in sich zusammenfallen würde.

Neben der Rolle der weißen Minderheit über die nicht-weiße Bevölkerungsmehrheit weist der Autor auf einen anderen gravierenden Unterschied hin: „While in apartheid South Africa, the settlers `exploited` the ´ labor power` of the dispossessed natives, in the case of Israel, the native population was to be eliminated; exterminated or expelled rather than exploited. It could be said that Zionism has been worse for the indigenous population than apartheid was in South Africa – Israel needs the land, but without people.” In einem Aspekt schießt Whites Analyse über das Ziel hinaus: Der Zionismus der Arbeitspartei zielte zwar auf die Trennung von Arabern und Juden und hatte auch deren Vertreibung zum Ziel, aber nicht deren „Ausrottung“.

Das Buch gliedert sich in drei Kapitel: Im ersten geht es um Israel und die Katastrophe der Palästinenser, „al-Nakbah“; der zweite Teil behandelt die „Israeli Apartheid“, und im dritten geht es um den Frieden und den Widerstand gegen „Israeli Apartheid“. Abgerundet wird das Buch von einem Kapitel über „häufig gestellte Fragen“ und einem Glossar.

Das erste Kapitel erzählt die Geschichte eines bereits allseits bekannten Konfliktes. Viel spannender und politisch brisanter dagegen ist Kapitel 2, in dem es um die israelische Variante von „Apartheid“ geht. Israel versteht und definiert sich selber als ein Staat, dessen Bevölkerung mehrheitlich nicht in diesem Staat lebt. Allein in New York City leben mehr jüdische US-Amerikaner als jüdische Israelis in Israel. Gleichwohl beansprucht der Zionismus, die Staatsräson Israels, der Vertreter aller jüdischen Bürger weltweit zu sein. Nach Ben White ist Israel nicht der Staat aller seiner Bürger wie z. B. Frankreich, Großbritannien oder die USA, sondern nur der von „einigen“, nämlich seinen jüdischen. Israel sei zwar in vielen Fällen „bewundernswert demokratisch“, aber der Staat müsse mit einem fundamentalen Widerspruch leben, und zwar dem zwischen „jüdisch und demokratisch“; dies sei ein Widerspruch in sich. Dieser Widerspruch drücke sich in den Begriffen „Nationalität“ (le`um) und „Staatsbürgerschaft“ (ezra`hut) aus. Der Autor schreibt, dass in der Theorie alle israelischen Staatsbürger die gleichen Rechte haben, aber nur ihre jüdischen Mitglieder hätte Rechte als „nationals“. “The whole purpose of political Zionism is a state of the Jewish nation”, schreibt White. Er zitiert eine Gerichtsentscheidung aus dem Jahre 1970, in der es heißt, dass „es keine israelische Nation gibt, die unabhängig von einer jüdischen existiert“.

In Israel gibt es zwei Gesetze, die die Grenzen der Diskriminierung abstecken: das „Absentee Property Law“ und das „Law of Return“. Letzeres erfüllt zusammen mit anderen den Status eines „Grundgesetzes“, da Israel bis heute über keine Verfassung verfügt. Das „Law of Return“ definiert den Staat Israel als “national home for all Jewish people the world over”. Nach diesem Gesetz sind alle jüdischen Bürger auf der Welt potenzielle Staatsbürger Israels. “The legal infrastructure of Israeli apartheid is more sophisticated and complicated than that of apartheid South Africa”, meint der Autor. Er weist auf die überragende Bedeutung der “Nationalen Institutionen” und die zentrale Unterscheidung zwischen „Juden“ und „Nicht-Juden“ hin, auf die kaum jemals in der Gesetzgebung des israelischen Parlaments Bezug genommen werde. Stattdessen gebe es eine “zweigliedrige Stuktur”, welche “has preserved the veil of ambiguity over Israel apartheid legislation for over half a century”. Die erste Stufe bestehe aus folgenden Zionistischen Institutionen – the Jewish National Fund (JNF), the World Zionist Organization (WZO) and the Jewish Agency (JA) – die alle nur zum ausschließlichen Nutzen von Juden existierten. Die zweite Ebene zeige die Art und Weise auf, wie diese Institutionen “are incorporated into the body of the laws of the State of Israel, and in particular, the body of strategic legislation governing land tenure”. Der Autor erwähnt, wie diese Institutionen Aufgaben des Staates übernehmen. White fast seine Ausführungen zur Diskriminierung der nicht-jüdischen Bevölkerung wie folgt zusammen: “The open racism faced by Palestinian citizens of Israel is simply a result of the central contradiction inherent in the idea of a `Jewish democratic` state.”

Am Ende seines Buches gibt Ben White einen Überblick über die nationalen und internationalen Organisationen und Initiativen, die sich der “Israeli Apartheid” in den Weg stellen. Für ihn ist es unvorstellbar, dass die Zukunft auf Ungerechtigkeit und Diskriminierung beruhen könne. Deshalb fordert er, “dismantling Israeli apartheid and guaranteeing the collective and individual rights of all the peoples of Palestine/Israel”. Für ihn ist das größte Hindernis für einen Frieden in der Region das “persisting Zionist mindset”. Dies sieht auch der im britischen Exil lebende israelische Historiker Ilan Pappé so, wie seine Autobiographie „Out of the Frame“ zeigt.

Ben Whites Buch liefert eine gründliche Analyse des diskriminierenden politischen Systems Israels, welche die US-amerikanische und die westeuropäische politische Klasse nicht wissen will, geschweige denn, dass sie sich damit intellektuell auseinandersetzen möchte. Der Autor wenigstens weist auf die fundamentalen Widersprüche eines „jüdischen und demokratischen“ Israels hin, deren sich das Land stellen muss, damit es als westliche Demokratie für alle seine Bewohner eine Zukunft hat.

Eine abweichende Besprechung in Englisch ist erschienen hier, hier und hier.

Freitag, 10. Dezember 2010

Happy Birthday Felicia Langer!

Yesterday, the German-Israeli human rights lawyer celebrated her 80th birthday in the German town of Tuebingen. Last year, she and her husband Mieciu had been married for 60 years. Ms Langer was born in Poland. When Nazi-Germany attacked Poland in September 1939, she and her family fled to the Soviet Union, where they stayed till the end of World War II. Her latter husband´s family was not so “lucky”. All, except Mieciu, were exterminated by the Nazi-killers. He survived several concentration camps. After they got married they immigrated to Israel in 1950.

After the birth of their son Michael, Ms. Langer studied law at the Hebrew University in Jerusalem. In 1965, she began working as a lawyer. After the occupation of Palestinian territories in the 1967 war, she was for over a decade the only Israeli lawyer who defended Palestinians before Israeli military tribunals (“kangaroo courts”). Her understanding of Israeli and international law did not sit well with the concept of law on which the “kangaroo courts” were based. She did not only suffer under the arrogance of military judges but had to endure defamations of her fellow countrymen. She achieved one great success: She succeeded, before the Israeli High Court of Justice, to prevent the deportation of Bassam Shaka, major of Nablus.

In 1990 she closed down her law firm and moved with her family to Germany. They settled in the town of Tuebingen in the state of Baden-Wuerttemberg. Since then, she has been relentlessly fighting for the rights of the Palestinian people, but also for a better Germany. Her commitment was both verbal and in writing. To enlighten the German public, she wrote eleven books, showing how the Israeli occupation oppresses the Palestinian people in their homeland.

She has been criticized for being outspoken and is treated with extreme hostility by a right-wing “Israel-Lobby” in Germany, which conveys the impression that it cares more for the State of Israel than for Jews in Germany. When the former German President, Horst Koehler, awarded her The Order of Merit of the Federal Republic of German, these lobbyists got bananas. Some of these lobbyists, who had previously obtained such an award, attempted to blackmail President Koehler into revoking Ms Langer´s award, by threatening to return their own awards. Ms Langer managed these defamations by keeping her dignity and completely ignoring them.

A prophet is typically not recognized in his own country. While held in high esteem among non-Zionist Israelis, she is almost “idolized” among the Palestinians. When we attended a conference together in East Jerusalem, whole Palestinian families showed up and thanked her again for what she had done for them. After she left Israel, she was honored by several prestige awards, among them the Alternative Nobel Peace Prize. Germans should be glad that she decided to settle in their country and accept German citizenship which historically could not have been taken for granted.

I feel very fortunate to have enjoyed Felicia´s good advice over many years and will endeavor to follow in her footsteps in the quest for justice and truth. I wish her Happy Birthday, or in Polish Sto lat, sto lat!

Foto: Wikipedia. First published here, here and here.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

Felicia Langer: Sto lat, sto lat!

Deutschland kann sich glücklich schätzen, dass sich Felicia Langer und ihre Familie 1990 entschieden haben, von Israel nach Deutschland auszuwandern. Dies war wahrlich keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich die Geschichte ihrer Familie vor Augen führt, die nach dem Nazi-Überfall auf Polen in die Sowjetunion fliehen musste, um dort unter nicht gerade komfortablen Umständen zu überleben. Schlimmer war jedoch die Familie ihres späteren Ehemannes Mieciu betroffen, die dem nationalsozialistischen Vernichtungsterror völlig zum Opfer fiel; als einziger überlebte Mieciu mehrere Konzentrationslager.

Wie viele Opfer des Nazi-Regimes wanderte Familie Langer 1950 nach Israel aus, in der Hoffnung, dort ein Leben führen zu können, wie alle anderen Menschen auf der Welt auch. Ein solches zu ermöglichen, war wenigstens der politische Zionismus angetreten. Dass es anders kam, ist dieser Ideologie geschuldet. Das Studium der Rechtswissenschaft und ihre spätere Tätigkeit als Anwältin der Entrechteten waren quasi persönlich-historisch determiniert. Als Humanistin und Internationalistin gab es in Israel für sie nur eine politische Heimat: die Partei Rakach (Neue Kommunistische Liste), die bi-national, antizionistisch und propalästinensisch war. Frau Langer gehörte deren Zentralkomitee an, das sie 1990 verließ. Diese Mitgliedschaft wird ihr bis heute von pro-zionistisch-extremistischer Seite vorgehalten. Sie geht mit diesen Verleumdungen nach dem Motto um: Was kümmert es den Mond, wenn der Hund ihn anbellt! Das mediokere Milieu der Politfunktionäre war ihr schon immer fremd.

Felicia Langer verfügt nicht nur in Deutschland über eine große Fan-Gemeinde. Sie ist eine international hoch angesehene und geehrte Persönlichkeit. Davon zeugen die zahlreichen Ehrungen, die ihre nach 1990 zuteil geworden sind. Der Prophet gilt allgemeinhin wenig im eigenen Land. Umso mehr sollte diese Feststellung der Betroffenen zur Ehre gereichen, wenn ihr ursprüngliches Heimatland so massiv gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte verstößt wie Israel, und sie diese Verstöße bis heute immer auf das Schärfste verurteilt hat. Für eine an das Recht glaubende Juristin ein nicht zu ertragender Ort. Lange Jahre war sie auch stellvertretende Vorsitzender der „Liga für Menschenrechte“, die von Israel Shahak, den „Yeshiyahu Leibowitz ohne Religion“, wie Frau Langer ihn nennt, geleitet worden ist.

Felicia Langer war über ein Jahrzehnt die erste und einzige Israelin, die sich für die Rechte der unter der israelischen Besatzung leidenden Palästinensern eingesetzt hat. Dafür musste sie nicht nur zahlreiche Demütigungen einer arroganten Militärjustiz, sondern auch solche ihrer Landsleute erdulden. Es sollte niemanden überraschen, dass sie vor den „Kangaroo Courts“ in Israel und den Besetzten Palästinensischen Gebieten (OPT) wenige Erfolge feiern konnte. Wer kann vor politisch-eingesetzten Militärgerichten schon als gewöhnliche Anwältin, die das reale israelische Recht und Völkerrecht hochhält, Erfolge erzielen? Wenigstens konnte sie 1979 vor dem Obersten Gericht Israels die Deportation des Bürgermeisters von Nablus, Bassam Shaka, aus seinem Heimatland verhindern.

Der „Misserfolg“ vor dieser Art von Gerichten sollte nicht überraschen oder gar als „Schande“ gelten. Wer persönlich miterlebt hat, wie Felicia Langer von der einfachen palästinensischen Bevölkerung in Ehren gehalten wird, freut sich, dass sie und ihre Familie jetzt in Deutschland leben und die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Für ihren unermüdlichen Einsatz für Gerechtigkeit und die Menschrechte wurde ihr vom ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler im Juli 2009 das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse in der Stuttgarter Staatskanzlei durch den Staatssekretär Hubert Wicker überreicht. Diese Ehrung ist nur mehr als angemessen für ihre persönliche und publizistische Leistung, die sie seit 20 Jahren in Deutschland - für ein besseres Deutschland und das Recht auf Selbststimmung der Palästinenser - erbringt. Für diese Auszeichnung wurde sie von Vertretern der „Israellobby“ mit Schmähungen und Verleumdungen überzogen, die selbst vor der Erpressung des Staatsoberhauptes nicht Halt gemacht haben. Selbst dazu schwieg die politische und mediale Klasse.

Persönlich bin ich Felicia Langer für ihre zahlreichen, exzellenten juristischen und menschlichen Ratschläge mehr als dankbar. Felicia, trotz aller Verleumdungen und Diffamierungen, die wir beide erfahren haben, sind wir überzeugt davon, dass die Wahrheit über die Lüge siegen wird. Auch in dem Sinne: Herzlichen Glückwunsch zum Deinem 80. Geburtstag! Oder ins Polnische gewendet: „Sto lat, sto lat!“

Foto: Wikipedia.

Sonntag, 5. Dezember 2010

Christentum und Moderne

Kein geringerer als der erste EU-Präsident, der Flame Herman van Rompuy, hat als Politiker den Mut, sich offen zum Christentum als einer existentiellen Idee für das Gelingen nicht nur Europas, sondern auch für die moderne Welt generell zu bekennen. Seine Offenheit und seine Bescheidenheit mögen bei den machiavellistischen Politikern der EU und der von Hybris bestimmten intellektuellen Kaste nur ein mitleidiges Lächeln hervorrufen.

Er zeigt dem rastlos-getriebenen, modernen Individuum, das zwischen Job, U-Bahn, Events und auch noch Nickerchen orientierungslos im Kosmos umherirrt, auf, dass es im Begriff ist, das Wesentliche seines Seins zu verfehlen. Dieses sinnentleerte Leben wird von den Medien kongenial ergänzt, indem diese täglich nur noch über eine Banalität nach der anderen berichten, und diese Scheinwelt dann auch noch als die Wirklichkeit verkaufen. Die Medien erfüllen heutzutage keinen Aufklärungsauftrag mehr, sondern nur noch einen Auftrag zur Depolitisierung der Öffentlichkeit, um die Medienkonsumenten verfänglicher für Manipulationen jedweder Art zu machen, wie dies in den USA schon seit Jahrzehnten der Brauch ist.

Herman van Rompoy bietet den Lesern/innen eine Alternative; es ist nicht der einfache, gerade Weg, der zum Glück oder zur Erfüllung führt, sondern er zeigt eine simple Alternative auf, und zwar das Bekenntnis zur Lehre des Christentums als gesellschaftliches Gestaltungsprinzip und die daraus folgenden politischen Konsequenzen. Der Autor argumentiert sehr politisch, aber er sieht darin nichts Absolutes. Überall gehe es zwar um „Geld“ und „Macht“; die Welt aber „sauberer“ zu machen, gehe nur, „wenn der Geist und das Herz der Menschen sich für das Immaterielle öffnen“. Besser hätte es auch Thomas von Kempen in seiner „Nachfolge Christi“ nicht ausdrücken können.

Wie denn das aus kurzen Essays bestehende Buch stark an die Sentenzen dieses niederrheinischen Mystikers erinnert. Der Duktus, die Einfachheit der Sprache und die Klarheit der Gedankenführung lassen sichtbar werden, welche Sprengkraft in einer auf dem Christentum fußenden Analyse der Gesellschaft stecken und welche Orientierung es geben kann. Wohl nicht ohne Grund verweist van Rompuy auf den ehemaligen UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld, dessen ständiger Begleiter die „Nachfolge Christi“ war. Welch ein Zufall? Dieses Buch sollte nicht nur für jeden Menschen mit Wertorientierung ein absolutes Muss sein, sondern insbesondere für die politische Klasse in der Europäischen Union, damit sie zur Kenntnis nimmt, welch großartiger Präsidenten diese im Niedergang befindliche Gemeinschaft repräsentiert. Die Machtpolitiker der EU sollten sich dieses Buch gegenseitig unter den Weihnachtsbaum legen.

Erschienen hier.