Das Votum in der Generalversammlung der Vereinten Nationen hat aller Welt vor Augen geführt, wie isoliert Israel und sein Patron, die USA, auf der Weltbühne sind. 138 Staaten stimmten für die Aufnahme Palästinas als 194 UN-Staat; sie stellten den Staat somit auf die gleiche Stufe mit dem Vatikan-Staat. Die Verweigerungsfront brachte es gerade einmal auf neun Gegenstimmen. Angeführt wird sie von Israel und den USA. Nicht überraschend war, dass die beiden rechtskonservativen Regierungen Kanadas und Tschechiens sich dieser Ablehnungsfront angeschlossen haben und damit auch noch ihr letztes Renommee verspielten haben. Daran bemerkenswert ist die Tatsache, dass nur ein Staat der Europäischen Union sich bereitfand, gegen das Selbstbestimmungsrecht des palästinensischen Volkes zu stimmen. Unter den 41 Staaten, die sich der Stimme enthalten haben, befanden sich Deutschland und Großbritannien als relevante EU-Staaten. Dies war professionell nicht nur unpolitisch, sondern seitens Großbritanniens auch politisch unklug.
Die Cameron-Regierung versuchte ihr Ja-Votum durch folgende Forderung an „Präsident“ Abbas zu erpressen, wie die Tageszeitung „The Guardian“ vom 27. November 2012 berichtete: „Am Montagabend signalisierte die britische Regierung gegenüber den Palästinensern, ihre Meinung zu ändern und mit Ja zu stimmen, wenn die Palästinenser ihren Antrag ändern würden. Whitehall-Beamte erklärten, die Palästinenser zu bitten, von der Beantragung der Mitgliedschaft im Internationalen Strafgerichtshof oder dem Internationale Gerichtshof, die beide genutzt werden könnten, um Israel wegen Kriegsverbrechen anzuklagen oder andere gesetzliche Ansprüche gegen Israel zu verfolgen, unterlassen würden." Dass sich die palästinensische Führung nicht auf diese diplomatische Erpressung eingelassen hat, spricht wenigstens für sie. Übrigens hätte dies „Versprechen“ keinerlei Bedeutung gehabt, wenn man sich die Politik Großbritanniens seit über einhundert Jahren im Nahen Osten vor Augen führt. Die Araber wurden vom britischen Empire immer wieder getäuscht.
Nach der UN-Entscheidung kamen von der rechtsnationalistischen israelischen Regierung die zu erwartenden Statements, aus denen die blanke Verachtung des Weltstaaten-Gremiums spricht: Natanyahu erklärte das Votum flux für „bedeutungslos“. „Dies ist eine sinnlose Resolution, die zu keinen konkreten Veränderungen vor Ort führen wird. Es wird keinen palästinensischen Staat geben, ohne eine Vereinbarung, die die Sicherheit der israelischen Bürger garantiert. Der Weg zum Frieden zwischen Jerusalem und Ramallah kann nur durch direkte Verhandlungen ohne Vorbedingungen erreicht werden, nicht durch einseitige Entscheidungen in der UNO.“
Die israelische Regierung hatte im Vorfeld auf diplomatischem Wege versucht, möglichst viele Länder in das Nein-Sager-Lager hinüberzuziehen. Auch der plötzliche Stopp der Aggression gegen die Menschen im Gaza-Streifen wurde kurz vor dem Votum in den Vereinten Nationen plötzlich abgeblasen, obwohl man mit der Mobilisierung von 75 000 Reservisten eine martialische Drohkulisse rund um das „Ghetto-ähnliche Freiluftgefängnis“ aufgebaut hatte. Der Weltöffentlichkeit blieb ein weiteres Massaker, wie das um die Jahreswende 2008/09 erspart, bei dem 1 400 Menschen - überwiegend Frauen und Kinder - den Tod fanden.
Die Netanyahu-Regierung steht Ende 2012 vor einem politischen und diplomatischen Scherbenhaufen. Ihre antiiranische Rhetorik konnte weder die USA noch die Weltöffentlichkeit überzeugen. Die USA haben ihre Drohkulisse vor der iranischen Küste zurückbeordert, um die kriegerische Armada technisch warten zu lassen! Das „Blattmachen“ des Gaza-Streifens, das von führenden israelischen Politkern, wie des Innen- und des Transportministers, gefordert worden ist, musste unterbleiben. Die Hamas stieg nun für alle sichtbar, zum maßgeblichen politischen Akteur in Palästina gegenüber der israelischen Besatzungsmacht auf. „Präsident“ Mahmoud Abbas wirkte in Ramallah wie ein Präsident von einem anderen Stern. Last but not least wurden Israel und die USA in der UNO mit ihrem Widerstand gegen das Selbstbestimmungsrecht eines kolonisierten Volkes öffentlich als Verweigerungsfront vorgeführt.
Dass die israelische Regierung daraufhin aggressiv reagiert hat, war vorauszusehen. So wurden umgehend die Steuergelder, die Israel für die palästinensische Autonomiebehörde erhebt, contra legem einbehalten. Ebenso wurde der Bau von weiterer 3 000 Kolonien im besetzten Ost-Jerusalem und der Westbank verkündet; wenn diese Entscheidung, die als „E-1“ bezeichnet wird, umgesetzt werden würde, ist die Zwei-Staaten-Lösung ein für alle Mal perdu. Konkret bedeutet sie für die „Autonomiebehörde“, dass ihr „Präsident“ ein „Abbas-ohne-Geld“ und ein „Abbas-ohne-Land“ wäre. Die US-Außenministerin Hillary Clinton erklärte daraufhin: „Im Lichte der heutigen Ankündigung, lassen Sie es mich wiederholen, hat diese Regierung - wie frühere Regierungen auch – Israel immer deutlich gemacht haben, dass diese Aktivitäten jeden Versuch eines auszuhandelnden Friedens zurückwerfen.“ Solche politisch bedeutungslosen Statement haben die diversen US-Regierung seit Beginn der Kolonisierung der besetzten Gebiete kurz nach dem Sechstagekrieg vom Juni 1967 immer wieder abgegeben, ohne Erfolg, wie man sieht.
Vergeblich fordert die israelische Tageszeitung „Haaretz“, Netanyahu möge die Chance für Verhandlungen ergreifen. Der Kommentator meint natürlich mit „Präsident“ Abbas. Dies ist selbst der Netanyahu-Regierung nicht zuzumuten, weil Außenminister Lieberman und andere Abbas als das größte Hindernis für den Frieden bezeichnet haben, obwohl Präsident Shimon Peres ihn als den Besten gelobt hat, den Israel jemals bekommen habe. Das Dilemma der israelischen Kolonialmacht nach 1967 ist, dass das Land niemals einen israelischen Charles de Gaulle hervorgebracht hat, also einen Politiker mit historischer Weitsicht und Format. Selbst Ariel Sharon, dem man das Etikett anheften wollte, scheiterte an den Hürden der zionistischen Ideologie.
„The times they are a-changing”, sang schon Bob Dylan 1964; er nahm damit die politischen Veränderungen in den USA um Jahre vorweg, als noch die reaktionäre Polit-Elite ihrem Rassismus frönte. Netanyahu, der in den USA aufgewachsen ist, kennt bestimmt diesen Song. Wann fängt er an, über seinen ideologischen Schatten zu springen und die revisionistische Ideologie eines Vladimir Jabotinskys und dessen Sekretärs, Benzion Netanyahu, seines Vaters, über Bord zu werfen, zum Wohle Israels versteht sich?
In zahlreichen Gesprächen mit Israel Shahak hat dieser immer wieder auf die Unterschiede zwischen Israelis und den US-amerikanischen jüdischen Bürgern hingewiesen. Selbst israelische Juden seien in den USA unter ihren Glaubensgenossen isoliert. Für diese These spricht einiges, wenn man sich das Wahlverhalten der US-amerikanischen jüdischen Bevölkerung anschaut. Im Gegensatz dazu hören sich die Verlautbarungen der Vertreter der zionistischen „Israellobby“ und ihrer Cheerleaders im US-Kongress gerade zu politisch reaktionär an. Ob der US-Kongress in Bezug auf den Nahen Osten die nationalen Interessen der USA vertritt, muss mit einem großen Fragezeichen versehen werden, wenn man sich die einseitigen Resolutionen und Erklärungen ihrer führenden Vertreter anschaut. Als abschreckendes Beispiel kann der frenetische Applaus während der Netanyahu-Rede vom Mai 2012 als Beleg angeführt werden, als die Abgeordneten beider Kammern des US-Kongresses, wie von der Tarantel gestochen, bei jeder noch so reaktionären Äußerung Netanyahus von ihren Sitzen aufgesprungen sind, dass selbst einem eingefleischten Zionisten wie dem New York Times-Korrespondenten Thomas Friedman nichts Besseres eingefallen ist, als zu schreiben, dass diese Ovationen von der Israellobby „gekauft und bezahlt“ worden seien!
Wie die Nachrichtenagentur Reuters vom 2. November meldet, beabsichtigen Frankreich und Großbritannien, ihre Botschafter aus Israel abzuziehen; dies ist überfällig. Selbst die deutsche Bundesregierung hat es gewagt, Israel wegen seiner jüngsten Entscheidung, die weitere Kolonisierung der besetzten Gebiete betreffend, zu kritisieren. Sie sollte die bilateralen Regierungskonsultationen mit der Netanyahu-Regierung, die für den 5, Dezember geplant sind, auszusetzen. Es stellt sich überhaupt die Frage, was Deutschland mit einer Regierung beraten will, die seit 45 Jahren ein brutales Besatzungsregime über ein anderes Volk unterhält, das Völkerrecht mit Füßen tritt und die Menschenrechte auf das eklatanteste verletzt?
Sollte die Bundesregierung und die US-Regierung ihr Statement nicht überdenken, und sich fragen, ob einer Besatzungsmacht überhaupt ein legitimes „Recht auf Selbstverteidigung“ gegenüber einem seit 45 Jahren geknebelten und entrechteten Volkes zusteht, wenn seine Kolonisatoren (Siedler) die eigentlichen Besitzer des Landes terrorisieren und auf eigens für sie gebauten Straßen fahren dürfen?! Für den leider zu früh verstorbenen israelischen Soziologen Baruch Kimmerling war es eine Selbstverständlichkeit, dass den Palästinensern ein Widerstandsrecht gegen das israelische Besatzungsregime zustehe, und zwar mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, wie er in einem Haaretz-Artikel schrieb. Blieben die beiden Mächte bei ihrer ursprünglichen Haltung, würde das für Israel bedeuten, es könnte seine Besatzungsherrschaft auf alle Ewigkeit aufrechterhalten. Dies sollten wirkliche Demokratien niemals akzeptieren, weil sie dadurch langfristig ihr eigenes Wertesystem und letztendlich ihre Legitimität durch Dritte in Frage stellen lassen.