Razan Zaitouneh |
Der diesjährige Ibn Rushd-Preis wurde am 30. November der syrischen Anwältin und Menschenrechtsaktivistin Razan Zaitouneh im Museum für Islamische Kunst im Pergamon-Museum in Berlin in absentia verliehen.Die Laudatio hielt Professor Udo Steinbach, ehemalige Direktor des Orient-Instituts in Hamburg.
Der Preis wird seit 1999 jährlich an Persönlichkeiten aus der arabischen Welt verliehen, die sich für die Freiheit des Denkens einsetzen. Unter den bisherigen 14 Preisträger/innen befinden sich u. a. Issam Abdulhadi (Palästina), Mohammed Arkoun (Algerien), Nasr Hamid Abu Zaid und Samir Amin (beide Ägypten), Sihem Bensedrine (Tunesien), Azmi Bishara (Palästina), um nur einige zu nennen.
Der Ibn Rushd Fund for Freedom of Thought wurde nach dem berühmten islamischen Philosophen und Arztes Ibn Rushd, besser bekannt unter seinem lateinischen Namen Averroes, benannt. Er war derjenige islamische Gelehrte, der die Werke von Aristoteles und Platon der christlichen Welt erst erschlossen hat. In der aristotelischen Logik sah er den einzigen Weg zum Glück des Menschen. Als kritischer Geist wurde er von der damaligen Mehrheit der islamischen Geistlichkeit abgelehnt, daran hat sich bis heute nichts geändert. Seine philosophischen Werke wurden verbrannt.
Seit dem 21. März 2011 lebt die Anwältin Razan Zaitouneh im Untergrund. Im Mai 2011 wurden ihr Ehemann und ihr Schwager verhaftet. In seiner Laudatio betonte Steinbach, dass mit der Auszeichnung für Frau Zaitouneh gleichzeitig auch alle Frauen und Männer der syrischen Revolte geehrt würden. Die Preisträgerin stehe „für den Kampf um Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit in ihrer Heimat“. Sie stehe als Aktivistin für die Abschüttelung des Jochs der Unterdrückung und der Ungerechtigkeit. In seinen weiteren Ausführungen zeichnete Steinbach die Geschichte der zahlreichen arabischen Revolten nach.
Kritisch ging der Laudator mit der Politik des Westens ins Gericht. „Außer Worthülsen, gedrechselten diplomatischen Ausflüchten, fragwürdigen Analysen des ‚besonderen Charakters‘ der Entwicklungen in Syrien ist wenig zu hören oder zu sehen. Sanktionen sind keine wirksamen Maßnahmen, sondern window dressing. Sie sollen den Eindruck erwecken, es geschehe etwas. In der Wirklichkeit freilich geschieht fast nichts.“
Jahrzehntelang habe der Westen „mit einer Mischung von Dünkel, Mitleid und Pseudoexpertentum auf ‚die Araber‘, ‚die Muslime‘ hinabgeschaut, die zu Demokratie gleichsam genetisch nicht fähig seien. Die ganz Schlauen forderten, die Muslime müssten erst eine ‚Aufklärung‘ durchmachen; dann erst könnten sie zur Moderne aufschließen. Die arabische Revolte, der syrische Aufstand haben uns eines Besseren belehrt: Wir alle sind den Werten der Humanität verpflichtet. Die Freiheit ist die conditio sine qua non.“ Das Versagen westlicher Politik grenze an Zynismus. Steinbach sprach sich gegen einen Militäreinsatz à la Libyen aus. Auch Sanktionen seien keine Politik. Schutz der Menschen bedeute, sich einzumischen „oder den zu Schützenden mit den Mitteln zu versehen, mit denen er sich selbst schützen kann“.
Unter Berufung auf Albert Camus und Friedrich Schiller wurde der bisher 40 000 Toten gedacht. „Lieber aufrecht sterben als auf den Knien leben.“ (Camus) Oder „Lieber den Tod als in der Knechtschaft leben.“ (Schillers Wilhelm Tell) Camus stellt den Menschen in der Revolte aber auch vor eine große Verantwortung. Der Mensch handelte zugleich für andere; sein Protest reicht über ihn selbst hinaus.
In ihrer verlesenen Dankesrede betonte Zaitouneh, dass sie ihre Auszeichnung als Preis für alle Syrer und ihre Revolution betrachte. Die Geehrte ist nicht erst seit dem Ausbruch des Aufstandes gegen das Asad-Regime politisch aktiv. Die Geschichte von Faris Murad habe ihr aber die Augen über das Regime geöffnet. Murad saß aufgrund seiner Mitgliedschaft in der kommunistischen Partei 26 Jahre in den Kerkern des Asad-Regimes, bis er 2002 freigelassen worden ist. Bald stellte sich jedoch heraus, dass er nicht der einzige legendäre Held war, „denn es gab Tausende wie Faris, die ihre 20. und 25. oder 28. Jahre in Gefangenschaft verbrachten“.
Trotz erheblicher persönlicher Widrigkeiten, ist sie in Syrien geblieben. „Wir glauben an die Revolution - aus dem Wunsch heraus, den Mörder und das, was er an Tod verbreitet, herauszufordern - aus der Hoffnung heraus, dass das, was wir heute tun, ein Baustein sein kann für den Wiederaufbau von Morgen, ein Wiederaufbau dessen, was in uns und zwischen uns zerstört wurde. Es ist ein Gemisch aus all dem. Deshalb kann ich in der Regel nicht die Frage beantworten ‚Warum sind Sie in Syrien geblieben?‘ besonders unter den Umständen, die heute vorzufinden sind.“
Auf diejenigen im Westen, die immer Freiheit und Demokratie für Syrien forderten, antwortete Zaitouneh in ihrer Rede, dass das Recht des Volkes auf Selbstbestimmung oder seine Repräsentanten selbst zu wählen, „galt für niemanden als Priorität". Ebenso wenig galt als Toppriorität „die Erniedrigungen und die Verbrechen der letzten vier Jahrzehnte zu beenden!“ Sie fuhr wie folgt fort: „Die Welt, im Osten und Westen, hat die Syrer nicht nur im Stich gelassen, sondern die grundlegenden Prinzipien der menschlichen Solidarität unterlassen. Die Folgen sind nicht mehr nur Tod und Zerstörung in Syrien, sondern es bleibt ein tiefer Riss, der in naher Zukunft nicht wieder gut zu machen ist, sowie ein Verlust an Vertrauen, der Grund sein wird für viele Komplikationen, die wir in Zukunft nach dem Ende der Revolution mit aller Voraussicht nach erleben werden.“ Von dem Sieg der Revolution ist die Preisträgerin zu tiefst überzeugt.
Die Beziehungen zwischen dem Westen und der arabischen Welt sind bis heute von dem geprägt, was Edward Said „Orientalismus“ genannt hat. Dessen jüngste Errungenschaft ist die Doktrin der „responsibility to protect“ (R2P), die sich als nützliches Interventionsinstrument eines wiedererwachten westlichen Neoimperialismus entpuppt, wie die direkten Militärinterventionen im Irak, Afghanistan, Libyen oder in Syrien vielleicht noch zeigen wird. Die Drohung mit einem militärischen Überfall auf Iran ragt da besonders heraus.
Nicht nur an der Jahrzehnte langen Unterstützung arabischer Despoten durch den Westen hat sich bis heute nichts geändert, sondern auch die Rolle im israelisch-palästinensischen Konflikt zeigt den Westen an der Seite eines Staates, der seit 45 Jahren das Völkerrecht verachtet und die Menschenrechte eines kolonisierten Volkes mit Füßen tritt, und dies alles damit rechtfertigt, dass er angeblich einen „Wall gegen die Barbarei“ bilde und die einzige „Villa im Dschungel“ sei.
Auch dazu fand der Laudator deutliche Worte : „Wenn eine Preisverleihung überhaupt einen Sinn hat, dann nur, wenn sie eine Tat ist, und nicht nur ein Wort. Wenn wir selbst uns verpflichten, im Sinne des Preises und des/der Gepriesenen zu handeln. Wenn wir Razan Zaitouneh ehren, dann müssen wir selbst Razan Zaiotuneh sein wollen. Dann können wir im Streben des syrischen Volkes, illegitime Herrschaft zu beenden, so wenig abseits stehen wie im Kampf des palästinensischen Volkes, illegitime Besatzung zu beenden.“
Die Zeit, dass Menschen in Syrien für ihren Einsatz für Freiheit und Menschenwürde in den Untergrund gehen müssen, sollte schnell zu Ende gehen. Da Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung universelle Werte sind, gelten sie vor allem auch für das palästinensische Volk.