Dies ist das außergewöhnlichste Buch, das ich jemals gelesen habe. Das Unterfangen des Autors ist überaus mutig, weil er den Zionismus und dessen Ideologie frontal angreift und zeigt, welches die größte Gefahr für den Fortbestand dieses Nationalismus‘ darstellt: das Judentum. Die Ausführungen zeigen, dass Zionismus wenig bis gar nichts mit Judentum zu tun hat. Das Judentum steht für ein völlig anderes Wertesystem als der Zionismus. Die Quellen, die der Autor zitiert, zeigen, dass die zionistische Ideologie in absoluter Opposition zum Judentum steht, und dass sie dessen Lehre für politische Ziele missbraucht.
Yakov M. Rabkin lehrt Geschichtswissenschaft an der University von Montreal. Seine Spezialgebiete sind Wissenschaftsgeschichte und jüdische Zeitgeschichte. Der Autor führt die Leserinnen und Leser in die jüdische und anti-zionistischen Gedankenwelt ein, für die der Zionismus die Antithese zum Judentum darstellt und folglich für orthodoxe Juden als Häresie gilt. Die orthodoxen Rabbiner stellten keine „Extremisten“ dar, sondern deren Argumente seien nach wie vor gültig und „erweisen sich für die zionistische Führungsriege nach wie vor als störend.“ Der Zionismus und der Staat Israel „haben das größte Schisma in der jüdischen Geschichte verursacht“. Für die Orthodoxie sei die Gründung Israels die „größte Sünde“. Für sie repräsentiere der „Zionismus eine Negation der jüdischen Tradition“. Der gemeinsame Nenner der religiösen Opposition gegen den Zionismus bilde die Thora.
Der Autor bezieht sich ausführlich auf rabbinisches Gedankengut. Fromme Juden glauben, sie hätten eine Verpflichtung, den Zionismus öffentlich zu kritisieren, und dies aus zwei Gründen: Erstens, um die Entweihung des Namens Gottes zu verhindern, und zweitens, um das menschliche Leben zu bewahren. Mit dieser Art der Kritik hofften sie, die Juden vor der Empörung zu schützen, die der Staat Israel durch seine Politik in der Welt hervorgerufen habe. Zahlreiche Umfragen wie z. B. die der Europäischen Union oder der BBC haben Israel „als die größte Gefahr für den Frieden“ ermittelt.
In sieben Kapiteln legt der Autor dar, warum religiöse jüdische Opposition gegen den Zionismus für den Bestand Israel gefährlicher ist als alle palästinensische Feindseligkeiten, nicht zu sprechen von der fiktiven iranischen Gefahr. Im Kapitel „Orientierungen“ zeigt Rabkin, dass es selbst nach der Zerstörung des zweiten Tempels immer jüdisches Leben in Palästina gegeben habe. Es gab ein friedliches Zusammenleben zwischen Juden, Christen und Muslimen im „alten Jishuv“ bis zu dem Zeitpunkt, als die Zionisten in Palästina ankamen. Ihr „neuer Yishuv“ und der Staat Israel war das Ergebnis der negativen Erfahrungen, denen sich Juden im zaristischen Russland ausgesetzt sahen, schreibt der Autor.
Die Zionisten hatten eine andere Vorstellung des Jüdischen. Sie transformierten die Sehnsucht nach dem Messias in ein politisches Programm, das einen Bruch mit der Tradition bedeutete. Als eine Gruppe definierten sich die Juden durch ihre Bindung an die Thora; diese normative Bindung zur Thora bleibe der alles bestimmende Faktor, schreibt Rabkin. Diese Hingabe verpflichte zur Einhaltung der Gebote. Den großen jüdischen Philosophen Yeshayahu Leibowitz zitierend: „Unsere Nation existiert nur in der Thora.“ Der „neue Hebräer“ vertraue nicht auf Gott (bitahon), sondern nur in „militärische Sicherheit“, das bis heute das dominante Konzept in Israel sei.
In einem weiteren Kapitel weist der Autor auf die tiefe kulturelle Kluft zwischen der zionistischen Konzeption vom „Land Israel“ (Eretz Israel) und der jüdischen Vorstellung darüber hin. Von Beginn an haben die Zionisten die „Liebe zum Land“ betont. Für sie sei diese Liebe „besitzergreifend“. Es werde kein anderer Anspruchsberechtigter toleriert. „Das Land kann nicht die Heimat eines anderen Volkes sein, selbst wenn es das Land lange bewohnt hat.“ Dies stehe im völligen Gegensatz zur jüdischen Sichtweise, nach der die Ansiedlung im "Land Israel" durch „die universelle Wirkung guter Taten und nicht durch militärische Gewalt und Diplomatie erreicht wird. Es folgen die Ankunft des Messias, im Gegensatz zur biblischen Eroberung Joshuas, die gewaltsam erfolgt ist.“ Rabkin weist auch die zionistische Interpretation des Bar Kochba- und des Makkabäer-Aufstandes zurück, weil sie der jüdischen Tradition widersprächen.
Nach Ansicht des Autors könne die jüdische Tradition der letzten zwei Jahrtausende nur als „pazifistisch“ beschrieben werden. Die Zerstörung des Tempels und das darauf folgende Exil werden nach traditioneller Sichtweise als Strafen für Verfehlungen von Juden interpretiert. Dies galt bis ins 20 Jahrhundert hinein, bis der Zionismus „militärisches Heldentum“ als verehrungswürdig ansah. Die ersten, die Widerstand dagegen und gegen die Kolonisierung Palästinas leisteten, seien die Rabbiner des „alten Yishuv“ gewesen. Für sie stellten die jüdischen Siedler die eigentliche Gefahr dar. Neben den Rabbinern gab es wenige jüdische Immigranten wie den holländischen Schriftsteller und Journalist Jacob Israel De Haan, der sich gegen die Politik der Zionisten aussprach. Seine Ermordung sei möglicherweise die erste terroristische Tat gewesen, die von Zionisten in Palästina verübt worden sei, schreibt Rabkin.
Der Widerstand gegen den Zionismus war vielfältig und nicht nur auf die Orthodoxie beschränkt. Besonders stark war er in Deutschland, sodass der erste Zionismus-Kongress nach Basel ausweichen musste. Der Autor beschreibt die anti-zionistischen Positionen von Agudat Israel, den Haredim, den Hasedim und dem Reform-Judentum. Eine Ausnahme stellt die Nationalreligiöse Partei (NRP) dar, die versucht, Zionismus mit Judentum zu verbinden. Dies zeige, wie fragil die Zivilreligion Israels sei.
Das Buch macht deutlich, dass der Zionismus nie monolithisch gewesen ist, was die komplexe anti-zionistische Opposition widerspiegelt. Trotz zahlloser Verleumdungen hat die jüdische Opposition gegen den Zionismus eine bemerkenswerte Beharrlichkeit an den Tag gelegt. Es scheint als werde dieser Widerstand solange anhalten, wie das zionistische Unternehmen im „Heiligen Land“ andauert. Alle Religiösen bestehen auf dem Primat der Thora und treten für Frieden und für einen gerechten Ausgleich mit den Palästinensern ein. Im Zionismus dagegen werden diese Ideen durch Militarismus und Eroberung ersetzt.
Dieses außergewöhnliche Buch ist ein Aufschrei für universelle Gerechtigkeit und ein Muss für jeden am Judentum und den verheerenden Auswirkungen des Zionismus für Palästina Interessierten.