Dieser Karikaturist hat den dritten Platz auf der "Antisemitismus-Hitliste" belegt. |
Nach dem Streitgespräch im Polit-Magazine „Der Spiegel“ zwischen Dieter Graumann, Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland (ZdJ), und dem Verleger der Wochenzeitung „der Freitag“ und Spiegel-Online-Kolumnist, Jakob Augstein, hat wenig zur Klärung der unterschiedlichen Standpunkte beigetragen. Graumann hält Augstein zwar für keinen „Antisemiten“, findet aber sein Israelbild „undifferenziert“, seine Kritik an dem Land „obsessiv“ und „schlimm“, da sie „antijüdische Klischees“ transportiere. „Sie schreiben hier mit dem Fingerspitzengefühl eines Bulldozers.“ Und „Sie zeichnen ein grotesk verfälschtes Bild von Israel.“
In dem Streitgespräch liefert Graumann eine tragfähige Definition von Antisemitismus, die zeigt, dass Augstein dagegen nicht verstoßen hat, er also kein „Antisemit“ ist, was aber schon vorher klar war. „Wer überall eine jüdische Weltverschwörung wittert oder ‚die Juden‘ für alle Übel im Zusammenleben der Völker verantwortlich macht. Wer Israel das Existenzrecht abspricht, es verteufelt oder seine Vernichtung in Kauf nimmt. Wer grobschlächtige Nazi-Vergleiche anbringt, um israelische Politik zu verdammen.“ In seiner Antisemitismus-Definition hat Graumann noch die „doppelten Standards“ vergessen, die angeblich an Israel angelegt werden würden. All dies hat Augstein in seinen Artikeln nicht getan. Oder gilt doch weiter insgeheim Broders Diktum: Wer Antisemit ist, bestimme ich! Darauf ist schon das Simon-Wiesenthal-Center (SWC) hereingefallen.
Augstein hat Graumanns Vorwurf der „Obsession“ und die anderen Unterstellungen oder Interpretationen seiner Texte seitens Graumanns souverän zurückgewiesen. „Was Sie da sagen, finde ich anmaßend, und ich weiß auch nicht genau, was Sie mit Obsession meinen.“ Augstein hat etwas mehr als einhundert Kolumnen auf Siegel-online geschrieben, ganz fünf davon beschäftigten sich mit der Politik der israelischen Regierung und eine mit Antisemitismus. Ist dies „obsessiv“? Auch den Vorwurf der mangelnden Empathie wies Augstein zurück. Unrecht müsse Unrecht genannt werden. Auch das Messen mit zweierlei Maß über die „unzumutbare Netanyahu-Politik“ in Deutschland gehöre in den Fokus der Kritik. Wer verteidigt den blind und obsessiv alles, was die israelische Regierung den Palästinensern antut?
Graumann sprach von einem „Mindestmaß an Gefühl“, das er von Journalisten erwarte, wenn sie über Israel schrieben, worauf Augstein erwiderte, dass er Journalist sein und über Israel so schreibe wie über die SPD oder jedes andere Land, ohne seinen Ausführungen immer voranstellen zu müssen, dass er „nichts gegen Juden“ habe. „Das ist neurotischer Journalismus.“ Er schriebe über Angela Merkel, die USA, die Linken oder die SPD nicht anders. Er wolle über Israels Sicherheits- und Siedlungspolitik keine verdrucksten Texte schreiben. Normalerweise soll ein Journalist das abbilden, was er sieht. Dies ist jedoch bei den meisten deutschen Israel-Korrespondenten nicht der Fall. Hat Dieter Graumann, von Broder gar nicht zu reden, jemals ein „Mindestmaß an Gefühl“ für die durch das israelische Besatzungsregime entrechteten Palästinenser entwickelt?
Das Streitgespräch hat gezeigt, dass Kritik an der israelischen Regierungspolitik nichts mit Antisemitismus zu tun hat. Die Broders dieser Welt werden dies naturgemäß anders sehen. Sie sollten sich an die Graumannsche Definition von Antisemitismus halten und sich in Kritik an den Verbrechen der israelischen Besatzungspolitik an den Palästinensern üben, wie dies Augstein und mit ihm viele andere tun, weil Israel permanent gegen Völkerrecht verstößt, die Menschenrechte der Palästinenser mit Füßen tritt, deren Land kolonisiert, das Volk „einmauert“, seine Freizügigkeit in ihrem eigenen Land extrem beschränkt, es in gewissen Abständen mit seiner High-Tech-Militärmaschinerie angreift und seit 45 Jahren einem Besatzungsregime unterwirft, das für ein „jüdisches und demokratisches Israel“ einzigartig ist.
Mit Israel verbinde uns eine „richtige Wertegemeinschaft“, wie es Graumann ausdrückt? Kann man bei den genannten Rechtsverstößen überhaupt noch von einer Wertegemeinschaft sprechen? Der „Fall Augstein“ ist schon lange zu einem Fall Broder und zu einem Fall SWC geworden. Was beide nicht begriffen zu haben scheinen, genuine Sozialisten und Linke weisen sowohl Zionismus als auch Antisemitismus sowie jede Form von Rassismus strickt zurück. „Der Antisemitismus ist das Gerücht über Juden“, wie Theodor W. Adorno treffend formuliert hat, aber damit hat Jakob Augstein absolut nichts zu tun.
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