Mit dem Fiaker unterwegs auf "Antisemiten"-Suche. |
Kommt endlich bei Henryk M. Broder (HMB) in Ansätzen die so genannte Altersweisheit zum Vorschein? Auf den ersten Blick könnte man dies meinen. Aber er hat sich nur für seine „Streicher“-Invektive gegenüber dem „Freitag“-Verleger Jakob Augstein eine „Entschuldigung“ aus den Rippen geleiert. Diese dient nur oberflächlich der verbalen Abrüstung. Wurde Broder von einigen seiner klügeren Freunde dazu überredet? Trotzdem: Broder semper idem! Wenn jetzt noch Rabbi Abraham Cooper vom Simon-Wiesenthal-Center (SWC) von seiner Entschuldigungsforderung an Augstein abrücken würde, könnte man zur Tagesordnung übergehen und hoffen, dass sie daraus ihre Lehren ziehen. Dies wird jedoch nicht geschehen, da sonst auch noch die Restreputation des SWC perdu wäre.
Im Polit-Magazine „Der Spiegel“ (2/2012, S. 45f.) hat Rabbi Cooper seinen Deutschland-Besuch für Ende Januar angekündigt. Vielleicht könnte ihn ja HMB mit dem Fiaker durch Berlin kutschieren, um ihm Institutionen zu zeigen oder Personen vorzustellen, die für „Antisemitismus“ anfällig oder bereits dessen „überführt“ worden sind. Als Experten sollten die beiden Nicht-Semiten wenigstens einen Semit wie z. B. Hamed Abdel-Samad mit auf diese Tour nehmen, damit ihnen nicht wieder Fehldiagnosen unterlaufen. Augstein und der brasilianische Cartoonist Carlos Latuff sollten die „Auszeichnung“ locker sehen, zeigt sie doch, wie wahllos HMB und dieses Netzwerk mit dem „Antisemitismus-Vorwurf“ hantiert und wie unbedacht mit dem ehrenwerten Andenken Simon Wiesenthals umgegangen wird.
Der Direktor für Internationale Beziehungen am Simon-Wiesenthal-Center in Paris, Shimon Samuels, hat in seinen Beitrag in der Tageszeitung „Der Tagesspiegel“ zehn Kriterien als „ethischen Code zum Umgang mit Antisemitismus“ genannt, dem jeder seriöse und verantwortungsvolle Kritiker der Politik Israels nur zustimmen kann. Widersprochen werden muss jedoch der von ihm empfohlenen „3-D“-Formel, die von Natan Scharansky kreiert worden ist. Die „3-D“ stehen für Dämonisierung, Delegitimierung und das Anlegen doppelter Standards in Bezug auf Kritik an der Politik der israelischen Regierung. Diese „3-D“Kriterien lassen sich eher auf die politische Statements der so genannten Freunde Israels anwenden.
Es gibt aber keine seriösen Kritiker der israelischen Besatzungsherrschaft, die gegen diese willkürlich aufgestellten Kriterien verstoßen. Im Gegenteil: Die Politik der israelischen Regierung trägt zur Selbst-Delegitimierung des Landes bei, indem sie willkürlich besetztes palästinensisches Land kolonisiert, das Völkerrecht und die Menschenrechte der Palästinenser mit Füßen tritt und bis heute nicht sagen kann, wo die Grenzen Israels eigentlich verlaufen. Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery hat in seinem Beitrag in der Tageszeitung „Junge Welt“ vom 10. August 2010 den Delegitimierern Israels Namen gegeben. Es sei dies der Außen-, der Verteidigungs- und der Innenminister des Landes.
Was den Vorwurf der doppelten Standards betrifft, den die Kritiker der israelischen Regierungspolitik angeblich an Israel anlegen würden, verhält es sich genau umgekehrt, wie von den Israelfans immer behauptet. Aktuell zeigen sich die doppelten Standards der „Freunde“ Israels bei der Präsentation einer Landkarte des Rappers Bushido, auf der Israel nicht zu sehen ist. Dies sei eine Infragestellung der Existenz Israels! Dagegen regt sich keiner dieser Kritiker auf, wenn auf allen offiziellen Landkarten Israels und den Straßenkarten Palästina nicht existiert.
Die Israelkritiker dagegen verlangen, dass endlich die westlichen Regierungen die gleichen Standards an Israel anlegen, wie sie dies bei Verstößen gegen Völkerrecht und Menschenrechte anderer Länder auch tun. Dies geschieht jedoch nicht. Im Gegenteil: Über die Menschenverachtende Politik der diversen israelischen Regierung wird hinweggesehen bzw. wird im UN-Sicherheitsrat das Veto eingesetzt bzw. als Drohung gebraucht, wenn den USA selbst die harmloseste Resolution noch zu kritisch erscheint. Die USA verhinderten beim Libanon-Krieg 2006, bei dem 1 200 Menschen, überwiegend Zivilisten ums Leben kamen, beim Massaker im Gaza-Streifen um die Jahreswende 2008/09, bei dem 1 400 Menschen, überwiegend Frauen und Kinder getötet worden sind, oder bei der Aufbringung der „Mavi Marmara“ in internationalen Gewässern, bei der türkische Aktivisten und ein US-Amerikaner regelrecht hingerichtet worden sind, jegliche Kritik an Israel. Die Liste ließe sich ins Unendliche fortsetzen. Hier wird von den so genannten Freunden Israels permanent mit zweierlei Maß gemessen und Israel über das Völkerrecht gestellt.
Die berüchtigte „3-D“-Formel dient, wenn man sie nicht auf jede Art von Rassismus ausweitet, folglich nicht der Erkennung von „Antisemitismus“, sondern nur der Immunisierung der israelischen Politik vor Kritik; sie ist in ihrer Einseitigkeit rassistisch. Ebenso politisch motiviert ist die „Antisemitismus-Definition der Europäischen Menschrechtsagentur“. Dort wird Antisemitismus wie folgt definiert: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass auf Juden äußert. Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus sind gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und / oder ihr Eigentum, gegen die jüdischen Gemeinden und religiöse Einrichtungen gerichtet.“ Die darin erwähnten sechs Punkte beschreiben klassische antisemitische Topoi, die kein seriöser Kritiker der israelischen Regierungspolitik jemals benutzt hat noch benutzen würde. Darüber hinaus ist diese Arbeitsdefinition politisch unverbindlich und besitzt keinerlei rechtswirksamen Charakter. Sie wird nur zur politischen Einschüchterung Andersdenkender gebraucht. Warum hat man sie nicht auf jede Form von Rassismus bezogen?
In Bezug auf die „Berliner Erklärung zum Antisemitismus“ haben Wolfgang Benz, Andreas Nachama, Reinhard Rürup und Gerhard Schoenberner vor einer „bedenkenlosen Instrumentalisierung“ der NS-Geschichtsperiode für „politische Zwecke“ gewarnt. Ihre Voraussagen werden durch die aktuellen Vorgänge um Broder und das SWC voll bestätigt. „Die Debatte verkommt zur Polemik, Argumente werden durch persönliche Diffamierung und Denunziation ersetzt. Wir warnen ganz besonders vor einer leichtfertigen Verwendung der Worte Antisemit und Antisemitismus, die inzwischen für alles und jedes als Pauschalvorwurf benutzt werden. Ihr inflationärer Gebrauch ist politische gefährlich und kontraproduktiv, weil die Begriffe auf diese Weise bis zur Bedeutungslosigkeit verharmlost und völlig sinnentleert werden, sodass sie auch außerhalb des viel zitierten deutschen Stammtisches am Ende niemand mehr ernst nimmt.“
Die von HMB und dem SWC losgetretene Kampagne gegen Jakob Augstein ähnelt der gegen den ehemaligen Senator von Nebraska, Chuck Hagel, der von US-Präsident Obama als zukünftiger Verteidigungsminister der USA nominiert worden ist und auf seine Nominierung durch den US-Kongress wartet. Als Hagels Nominierung im Dezember durchsickerte, startete die rechtszionistische pro-Likud „Israellobby“ eine beispiellose Verleumdungskampagne gegen Hagel. Erstmalig stellte sie sich somit offen gegen den US-Präsidenten und dessen Recht, eine mehr als respektable Persönlichkeit für das Pentagon auszuwählen.
Aus dem folgenden Statement Hagels versucht die „Israellobby“, seine Bestätigung durch den US-Senat zu verhindern: “The political reality is that … the Jewish lobby intimidates a lot of people up here … I’ve always argued against some of the dumb things they do, because I don’t think it’s in the interest of Israel … I’m not an Israeli senator. I’m a United States senator. I support Israel, but my first interest is, I take an oath of office to the Constitution of the United States, not to a president, not to a party, not to Israel.”
Folgt man US-amerikanischen Kommentatoren, so hat im „Fall“-Hagel die „Israellobby“ zusammen mit den neokonservativen Extremisten völlig überzogen. Mittlerweile gibt es aber schon eine Gegenbewegung, die ihn als „Freund Israels“ sehr schätzt. Es ist zu hoffen, dass aus dieser temporären Niederlage der „Israellobby“ eine permanente wird. Ähnliches wäre auch für Deutschland wünschenswert.
Erschienen auch hier.
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